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Die Sommerurlaube an der Nordsee haben meine Kindheit geprägt. Während andere sich am Strand von Rimini einen Sonnenbrand holten, stapften meine Brüder und ich mit Regenmantel und in Gummistiefeln durch den rauhen Nordseewind. Die Kraft von Meer und Natur war immer allgegenwärtig und sich bei 18 Grad Wassertemperatur in die Brandung zu stürzen war weniger Herausforderung, sondern gehörte einfach zum Sommer.
Mehr als dreißig Jahre später stehe ich gespannt an der Reling des Fährschiffes, das mich wieder zur Insel bringen soll. An dem Schiff scheint die Zeit spurlos vorübergegangen zu sein, es sieht noch aus wie damals und auch der Name ist der gleiche geblieben. Ich erinnere mich, wie ich bei stürmischer See dicht bei meiner Mutter saß, ein Kopftuch gegen den beständigen Wind umgebunden.
Als der kleine Hafen in Sicht kommt, werde ich unruhig und frage mich, ob das kleine Haus, das wir immer gemietet hatten, noch steht – oder ob es mittlerweile einem großen Hotel Platz machen musste. Der Hafen selber scheint wenig verändert und ich kann die Silhouette eines Pferdewagens mit vorgespannten Kaltblütern erkennen: nach wie vor sind keine Autos auf der Insel erlaubt und wir haben als Kinder immer fasziniert beobachtet, wie das Gepäck vom Schiff auf die Pferdewagen verladen wurde, um dann von den gutmütigen Pferden im bedächtigen Gang zu den Hotels gebracht wurden.
Endlich ist das Schiff fest vertäut und ich gehe mit gemischten Gefühlen die schmale Hauptstraße in den Ort entlang. Alles ist natürlich etwas kleiner und enger als ich es in Erinnerung habe, aber auf den ersten Blick scheint nicht viel verändert: ich erkenne die Kirche mit dem markanten Glockenturm wieder und im Ortszentrum gibt es zwar ein paar größere Cafes, aber ansonsten scheint sich die Bauindustrie zurück gehalten zu haben. Die Wege sind immer noch rot gepflastert und viele Häuser haben auch noch die weißen Holzzäune aus meiner Kindheit. Ich biege nach links ab und erkenne den kleinen Supermarkt wieder, in dem mein Bruder und ich immer die Frühstücksbrötchen holen gingen, den jüngeren Bruder hinten im Bollerwagen nachziehend. Und gleich daneben steht es noch, das kleine Häuschen, dicht an den Boden geduckt, auf dem Rasen Kinderspielzeug verstreut wie vor dreißig Jahren. Kurz sehe ich mich mit meiner Mutter auf der Bank vor dem Haus sitzen und kann es gar nicht glauben, dass sich so gar nichts verändert hat.
Hinter dem Haus vorbei führt die Straße immer noch weiter durch die Dünen zum Strand. Ganz in Gedanken schlendere ich auf die aufgereihten Standkörbe zu. Hier hat sich schon etwas verändert: heute macht sich wohl keiner mehr die Mühe, rund um seinen Korb einen kleinen Wall aus Sand aufzuschütten, als Windschutz und natürlich, um die Außenseite mit Muschelmustern zu verzieren. Die schweren grauen Wolken, die sich gerade über dem Strand auftürmen, sind allerdings die gleichen geblieben und auch die Brandung frisst sich unvermindert in den Sand.
Zum Festland zurück geht es zu Fuß durch das Watt und bis auf die Austern, die sich erst in den neunziger Jahren hier im Watt angesiedelt haben, kann mir die Führerin nicht viel Neues erzählen. Beim Waten durch den glitschigen Schlamm und die kalten Priele durchströmt mich ein stilles Glücksgefühl, dass es in unserer schnelllebigen Zeit immer noch Orte gibt, in denen die Jahre kaum Spuren hinterlassen.