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Dschinghis Khan blickt von seinem Thron streng auf den belebten Platz hinunter. Als wir hier vor gut zwei Wochen ankamen, hatten wir noch Mitleid mit der Braut, die vor den Stufen am Fuße des Denkmals umringt von Familie und Freunden frierend in ihrem schulterfreien Brautkleid stand. Heute leuchtet der Himmel strahlend blau hinter dem Parlamentsgebäude und ich sitze im T-Shirt am Suchbataar-Platz und beobachte das rege Treiben in der warmen Sonne.
Schulmädchen in dunkler Schuluniform mit dem Handy am Ohr, ein paar bleiche Touristen mit Kameras, neben mir auf der Bank lässt sich eine Dame mittleren Alters mit schwerer Einkaufstüte und einer großen Flasche mit milchiger Flüssigkeit nieder. Airag? Die kyrillischen Buchstaben auf dem Etikett geben mir keinen Hinweis auf den Inhalt. Lautstark telefoniert sie mit ihrem Handy, bevor sie sich seufzend wieder erhebt und ihren Weg über den Platz fortsetzt.
Auf den Stufen rund um das Reiterdenkmal in der Mitte das Platzes hat sich die Jugend versammelt, plaudert, lacht, schaut in ihre Handys. Der junge, gutaussehende Mann hinter mir in Jackett und Rollkragenpullover hat wohl das erste Rendezvous mit seiner hübschen Begleiterin. Der Dialog zwischen den beiden scheint sich nur zaghaft zu entwickeln, aber beide lächeln immer wieder verschämt und schauen einander unter dichten, schwarzen Wimpern an.
Daneben sitzt ein altes Männlein in Tracht auf den Stufen, gekrümmt vom Alter, und wird gerade von einer Fotografin abgelichtet. Kurze Zeit später bringt sie ihm als Bezahlung einen vollen Becher von dem Stand mit dem bunten Sonnenschirm, unter dem aus einem kleinen Fass eine undefinierbare Flüssigkeit verkauft wird.
Ein junger Mann spricht lautstark in das Funktelefon, das auf der nächsten Bank von einer fülligen Dame bewacht wird. Nach dem kurzen Gespräch wechseln ein paar Scheine den Besitzer. Auf der Bank sind neben dem Telefon fein säuberlich Kaugummis, kleine Süßigkeiten und Getränkedosen zum Verkauf aufgebaut.
Am anderen Ende des Platzes werden zwei Reihen von viereckigen, weißen Zelten vom Segel des Blue-Sky Hochhauses überragt, dessen verspiegelte Fassade in der Sonne glitzert. In den Zelten wird alles von Schuhen über Kleidung und elektrischen Geräten bis hin zu Lebensmitteln verkauft. Aber um diese Zeit tut sich nicht viel an den Ständen und die Händler sitzen gelangweilt auf ihren kleinen Klappsesseln.
Die Dame mit der Kamera zählt gerade ihr Bündel von Geldscheinen, ein älterer Herr, ebenfalls mit einer Kamera um den Hals, zieht scheinbar ziellos seine Runden über den Platz.
Der Verkehr staut sich dreispurig in den angrenzenden Straßen und in der Ferne, hinter der nächsten Versammlung von Hochhäusern, kann ich Ausläufer der gelben Hügel erkennen. Die Wache vor dem Parlament beobachtet kritisch einen Radfahrer, der sich vor den Stufen zu Dschinghis Khan eine Zigarette anzündet, bevor er gemächlich weiter rollt.
Keine Stadt, die einen mit schönen Fassaden und engen Gassen für sich einnimmt. Eher abweisend mit ihren Plattenbauten und Baustellen für noch mehr Hochhäuser, beherrscht von den breiten Türmen der Kohlekraftwerke, deren Rauchschwaden in der Sonne über den Häusern hängen. Aber lebendig ohne Hektik, spürt man die positive Energie und die Aufbruchsstimmung, die immer noch herrscht. Das macht sie sympathisch, so wie das Lächeln ihrer Bewohner die herbe Schönheit in ihre Gesichter zaubert.
(Mongolei, September 2016)