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Ich biege in die staubige Straße ein, die durch den kleinen Ort am Rande des Bwindi Nationalparks führt. Rechts und links sind kleine Bretterbuden aufgereiht. Bei einigen ist die Tür geöffnet und es sind ein paar geflochtene Körbe und Holztiere aufgestellt. Vor einer der Hütten sitzen ein paar Jugendliche, heben die Hand zum Gruß. Ein Moped braust an mir vorbei und hüllt mich in eine rötliche Staubwolke. Kleine Kinder schauen neugierig, einige trauen sich und rufen winkend „Good morning! How are you?“. „Fine. How are you?“ Freudiges Lachen. „I’m fine.“
Es ist der 31.12., der letzte Tag des Jahres. Auf meinem Spaziergang der staubigen Piste entlang sind mir schon einige der Bewohner entgegengekommen, herausgeputzt für den Gang zur Kirche. Ein Lastwagen mit dichtgedrängter menschlicher Fracht auf der Ladefläche, lachend und winkend, poltert ebenfalls Richtung Tal an mir vorbei.
Ein kleiner Junge geht plötzlich neben mir. Kurze Hose, sauberer Pulli, die kleinen Füße in grünen Plastikschlapfen. „Good afternoon!“ Zur Abwechslung mal eine Begrüßung passend zur Tageszeit. „Good afternoon!“ „How are you?“ „I’m fine. How are you?“ „Fine. Thank you.“
Wie ich denn heiße? Sein Name sei Joseph. Und wo ich denn herkomme? Wie lange ich in ihrem Ort bleibe und wo ich denn hingehe? Zu meiner Lodge, antworte ich. Wo ich denn wohne? Im „Gorilla Mist Camp“ am Ende des Dorfes.
Wir gehen eine Zeit lang schweigend nebeneinander her. Was ich denn heute Abend mache? Wahrscheinlich mit meinen Mitreisenden in der Lodge verbringen. Ob ich Lust habe, mir eine Tanzvorführung in der Schule anzuschauen? Ich hätte keine Zeit und würde in der Lodge erwartet, ist meine ausweichende Antwort.
Wir gehen weiter durch das kleine Dorf. Woher er denn so gut Englisch kann, frage ich ihn. Sein Englisch ist wirklich perfekt. Hat er in der Schule gelernt. Sie haben einen Direktor, der sehr darauf schaut, dass sie gut Englisch lernen. Wie viele Kinder denn in seine Schule gehen? So um die 40. Ob ich mir die Schule anschauen möchte? Wieder antworte ich ausweichend.
Wie alt er denn sei? 11 Jahre. Die Antwort überrascht mich etwas, denn aufgrund seiner Größe hätte ich ihn viel jünger geschätzt. Wie alt ich denn sei? Sehr alt, sage ich, 50 Jahre. Das ist wirklich sehr alt, meint er. Er hätte mich auf 60 Jahre geschätzt. Ich schmunzle und denke mir, dass er noch ein bisschen im Umgang mit Frauen lernen muss.
Ob ich nicht doch noch mit in ihre Schule kommen möchte? Sie flechten dort auch Körbe und basteln andere kleine Souvenirs. Nachdem er gar so ernsthaft ist, lasse ich mich schlussendlich doch erweichen und willige ein. Wir biegen rechts ab und stehen kurz darauf vor einem Gebäude mit einem Holzzaun aus krummen Ästen um den Hof und einer kleinen Hütte links daneben. Ich werde durch die schmale Tür in die Hütte geführt, wo schon die Bierflaschen auf dem niedrigen Tischchen stehen und laute Musik spielt. Sogleich springt einer der Anwesenden auf und dreht die Musik leiser. Hinter der kleinen Theke werden ein paar kleine, geflochtene Körbchen hervorgekramt und die obligatorischen geschnitzten Gorillas. Schließlich erstehe ich eines von den geflochtenen Körbchen. „Thank you for supporting us!“ wird mir noch nachgerufen, bevor die Musik wieder lauter wird.
Joseph geht immer noch neben mir, als ich wieder in die staubige Hauptstraße einbiege. Er würde mich noch bis zur Lodge begleiten.
Wie lange er denn noch in die Schule gehen muss? Noch drei Jahre. Aber wenn er gut lernt und fleißig ist, dann könne er länger gehen. Er möchte gerne Arzt oder Guide werden. Seine Eltern sind bei einem Unfall ums Leben gekommen, als er erst drei Jahre alt war, erzählt er mit ruhiger Stimme. Seitdem wohnt er in der Schule, die auch ein Waisenhaus ist.
Wir sind am Eingangstor der Lodge angekommen. Joseph bleibt stehen und erklärt, dass er sich nun verabschiedet. Wir geben uns die Hand und ich bedanke mich für seine Begleitung. Der Blick in sein ernsthaftes, ein bisschen trauriges Gesicht berührt mich tief und lässt mich sehr nachdenklich zurück.
(Uganda, Dezember 2016)