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Die Morgensonne taucht die Felswand vor uns in goldgelbes Licht. Ich wärme mir die Hände an einer dampfenden Kaffeetasse, als ich über uns ein Grunzen höre und die langen, buschigen Schwänze der Rotstirnmakis in den Baumkronen auftauchen. Mit ihrer roten Stirn und der schwarzen Zeichnung über der Nase sehen sie aus wie kleine, flauschige Teddybären, die nun neugierig auf unser Frühstück schielen. Einige mutige wagen sich auf den Boden und stolzieren mit aufgestellten Schwänzen zwischen unseren Zelten hindurch. Ich komme vor lauter Schauen gar nicht dazu, mein Frühstücksbrot zu verspeisen.
Auf dem Weg zu den kleinen Toilettenhäuschen, die etwas abseits stehen, lässt sich direkt vor mir ein Wiedehopf auf einem Zweig nieder. Sein orange-braunes Gefieder leuchtet in der Morgensonne und mir gelingen sogar ein paar Fotos bevor er wieder verschwunden ist. Vom Paradiesfliegenschnäpper mit seinen langen, weißen Schwanzfedern schaffe ich nur einen verschwommenen Schnappschuss, bevor ich dann doch bei den Toiletten angekommen bin.
Eine gute Stunde später sind wir in einer Landschaft von einem anderen Stern unterwegs: bizarre Felsformationen türmen sich bis zum Horizont auf. Unsere Wanderung führt durch das Isalo-Massiv, einem Sandsteingebirge, das vor langer Zeit durch Erdbewegungen aufgeschoben wurde und aus dem Wind und Wetter in den letzten Jahrtausenden Schluchten, Grotten und Hochebenen aus geschichteten Türmen geschaffen hat. Hinter jeder Biegung tauchen immer wieder neue Formen und Gestalten aus Stein in allen Brauntönen auf. Eine karge, trockene Landschaft, mit ein paar vereinzelten Sträuchern und Maulbeerbäumen, neben denen malerisch das fahle Holz abgestorbener Stämme aufragt. Zwischen den Felsen, an den unmöglichsten Stellen, klemmen immer wieder falsche Baobabs: kleine bauchige Pflanzen, die den Namen Elefantenfüße zu Recht tragen. Dünne Ästen ragen aus ihren Krug-artigen Stämmen und zu dieser Jahreszeit auch kleine gelbe Blüten als Kontrast zu den braunen Felsen ringsherum.
Vor lauter Schauen und Fotografieren bin ich mal wieder eine der letzten der Gruppe und beobachte einen Falken, der sich mit seiner Beute auf einem der Felsentürme niedergelassen hat.
Als wir kurz darauf den Gipfel des Belohamena l’Isalo erreichen, werden wir mit einem traumhaften Ausblick über das Tal, das wir durchwandert haben, belohnt. Turm um Turm aus zerklüftetem Sandstein reiht sich unter uns auf. Ich bin komplett überfordert, was ich zuerst fotografieren soll, und gleichzeitig ist mir klar, dass ein Foto diesem Panorama nie gerecht werden wird. Schließlich sitze ich nur staunend am Rande des Abgrundes und lasse das Bild auf mich wirken.
Der Abstieg ins Tal auf der anderen Seite eröffnet einen endlosen Blick über die rotbraune Ebene. Wir folgen dem Gebirgskamm, der immer noch von kleinen und größeren Türmchen gesäumt ist. Unter mir sehe ich die ersten von uns am Rande des Kammes verschwinden, fast so, als würde der Sog des steilen Hanges sie hinunterziehen. Und ein bisschen habe ich das Gefühl, als könnte ich fliegen, die Arme ausbreiten und mich vom Wind in die endlose Landschaft tragen lassen.
(Madagaskar, August 2017)