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Wir folgen unserem Guide, der den steilen Pfad zwischen großen, mit Kakteen bewachsenen Felsen erklimmt. Wie immer ist er in einem flotten Tempo unterwegs, sodass ich mich konzentrieren muss, wo ich auf dem steinigen Pfad hintrete, und ihn gleichzeitig nicht aus den Augen zu verlieren. Oben macht der Weg eine Biegung nach links und Christiane bleibt kurz stehen, bis ich mitbekommen habe, wo es lang geht. Hinter mir keucht Gerd, und ich warte, oben angekommen, ebenfalls kurz, bis auch er den weiteren Weg kennt. Vor mir sehe ich gerade noch, wie Christiane in der nächsten schmalen Gasse verschwindet, und ich beeile mich, um den Anschluss nicht zu verlieren.
Wir sind in Aremd, einem Berberdorf im Mizanetal im Hohen Atlas. Die Steinhäuser der auf 1.900 Meter am höchsten gelegenen Siedlung in diesem Tal haben sich eng an den Berg geschmiegt. Durch sie führt ein Labyrinth an engen Gassen mit steilen, hohen Stufen, die für einen Riesen gemacht zu sein scheinen. Vor gut zwei Stunden sind wir angekommen, haben unser Quartier in einer idyllischen Herberge am Rande des Dorfes mit Ausblick auf die Berge bezogen. Nun will uns unser Guide zeigen, wo es im Dorf ein paar Geschäfte und eventuell sogar ein Café gibt.
Leicht außer Atem erreiche ich nach einigem Auf und Ab Hassan, unseren Guide, und Christiane, die an einer kleinen Kreuzung stehen. „Geradeaus und dann links“ meint Hassan und deutet vage in eine Richtung. Für den Weg zurück sollen wir uns einfach an den Stromleitungen orientieren, die Richtung Herberge führen. Und schon ist er wieder zwischen den Häusern verschwunden.
Wir warten noch auf Gerd, Jutta und Wolfgang, die auch mit auf Erkundungstour sind. Dann folgen wir der Gasse, die uns Hassan gezeigt hat. Und stehen wenig später auf einem kleinen Plateau, das vor uns steil abfällt. Da müssen wir wohl eine Abzweigung übersehen haben. Wir drehen um und biegen bei der nächsten schmalen Gasse, die abwärts führt, ab. Sie mündet in einen kleinen Tunnel unter den Steinhäusern durch. Am anderen Ende erwartet uns wieder eine Abzweigung, die in einer Sackgasse endet. Also wieder zurück und die nächste Möglichkeit probieren. Dieses Mal kommen wir ein Stück weiter, aber irgendwie sieht es auch hier nicht nach Geschäften und Lokalen aus. Wir haben eher den Eindruck, als hätten wir den Rand des Ortes erreicht. Gerd, Jutta und Wolfgang geben entnervt auf und machen sich wieder auf den Rückweg.
Ich lasse mich mit Christiane noch ein bisschen durch die schmalen Gassen treiben, die wie ausgestorben wirken. Wahrscheinlich ist Nachmittagsruhe und die Geschäftigkeit geht erst am kühleren Abend wieder los. Ab und zu hören wir über uns Stimmen und erblicken Frauen mit Kopftuch, die entweder vom Dach eines Hauses zu uns herunterschauen oder aus dem Fenster lehnen und sich mit der Nachbarin am nächsten Hausdach unterhalten. Telefone sind hier wohl überflüssig.
Ein altes Mütterchen kommt uns entgegen und ich frage mich, wie sie es täglich über die steilen Stufen schafft, die mir schon den Schweiß auf die Stirn treiben. Ein Mann im langen Berbergewand zieht ein widerwilliges Muli hinter sich her und verschwindet um die nächste Ecke. Schräg über mir ertönt ein Gackern und ich erblicke zwei Hennen, die es sich in einem verfallenen Fenster bequem gemacht haben.
Am meisten faszinieren mich jedoch die eisernen Türen der Häuser: im Gegensatz zum rötlich braunen Einerlei Steinwände sind sie aufwändig verziert und bunt bemalt. Keine Tür gleicht der anderen. Jeder Bewohner scheint für sich ein kleines, einzigartiges Meisterwerk geschaffen zu haben. Anstatt Namen geben wohl die Verzierungen und Muster der Eingänge Auskunft über ihre Bewohner.
Mittlerweile haben wir uns endgültig verlaufen. Keine Stromleitungen weit und breit mehr zu sehen und selbst die Pfeile zum Hamam des Dorfes haben wir verloren. Die nächste Biegung führt uns in den Hinterhof eines Hauses, wo uns die Hausherrin mit drohendem Finger unmissverständlich zeigt, dass es hier nicht weiter geht. Bei der nächsten Abzweigung schaut eine junge Frau in leuchtend rotem Kleid mit einem Kind auf den Arm aus einer der bunten Türen. Auf unser fragendes „Hamam?“ deutet sie in die Richtung, aus der wir gekommen sind und macht dann eine Biegung mit der Hand nach rechts. Nicht ohne sich mit einem freundlichen Lachen wohl köstlich über die beiden Touristinnen zu amüsieren, die durch die Gassen irren.
Nach einem weiteren Fehlversuch und zwei steilen Gassen, stehen wir wieder vor dem Haus, das groß mit „Hamam“ und „Boulangerie“ beschriftet ist. Nicht, dass weit und breit ein Bad oder eine Bäckerei zu sehen wäre, aber immerhin haben wir wieder die Stromleitungen im Blick. Die führen uns dann auch tatsächlich wieder zurück zu unserer Unterkunft.
Einen Kaffee (oder gar ein Bier) und Souvenirs habe ich auf unserem Ausflug nicht erbeutet, dafür aber eine schöne Sammlung an bunten Türen. Und am Ende ist das doch das schönste Souvenir für mich 🙂
(Marokko, Mai 2018)