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Schmetterlinge, überall. Wie kleine, weiße Schneeflocken tanzen sie vor uns durch die Luft. Sitzen in Scharen am Straßenrand, kleine Meere aus sich bewegenden schwarz-weißen Flügeln. Man muss aufpassen, dass man nicht auf sie drauftritt.
Wir sind auf der Suche nach einem After-Dinner Bier. In unserem Guesthouse findet heute eine Hochzeit statt und gerade ist das Brautpaar eingetroffen: die junge Braut sehr hübsch im schulterfreien, weißen Kleid, der Bräutigam in dunkler Hose und weißem Hemd. Der Eingang des großen Zeltes ist von abgeschnittenen Birkenzweigen eingerahmt. Drinnen reiht sich Tisch an Tisch, schon gut gefüllt mit den Gästen. Nachdem unsere Gastgeber alle Hände voll zu tun hatten, wollten wir als Touristen nicht weiter stören und haben uns verdrückt.
Das von uns angesteuerte Café am Fluss hat leider schon geschlossen und wir schlendern durch die Schmetterlinge zurück. Gegenüber unserer Unterkunft gibt es ein kleines Häuschen mit Veranda, in dem man anscheinend auch Bier erwerben kann. Von oben winken uns ein paar Einheimische hinauf. Und gleich darauf schließt der Bruder der Braut kurz die Tür auf, um uns aus dem Kühlschrank ein paar Biere zu verkaufen. Dann verschwindet er wieder in Richtung Hochzeit.
Die drei Georgier wollen uns ihre Sessel anbieten, doch wir fühlen uns ganz wohl, so ans Verandageländer gelehnt. Jemand bringt von drüben einen Teller mit Eintopf und dem obligatorischen Fladenbrot. Wir werden aufgefordert, uns auch zu bedienen. Gar nicht so einfach, mit einem Stück Brot etwas Eintopf vom Teller in den Mund zu befördern, ohne die Hälfte unterwegs zu verlieren.
Wir trinken unser Bier, tratschen etwas über den heutigen Tag, während die anderen auf Georgisch ein paar Sätze austauschen. Dann steht eine kleine Cola-Plastikflasche mit einer durchsichtigen Flüssigkeit neben dem Teller mit dem Eintopf auf dem Tisch. Wir fangen an zu rätseln, was die Flasche wohl enthält – Wasser wird es wohl nicht sein. Der Besitzer der Flasche schaut mich an und fragt: „Cha-Cha?“ – so wird der lokale Schnaps genannt, der meistens aus Trauben gebrannt wird. Bis jetzt hatte ich noch keine Gelegenheit, diese Spezialität zu probieren.
„Cha-Cha! Yes, please!“
ist also meine Antwort – und damit scheint das Eis gebrochen.
Ich bekomme ein Glas mit dem Getränk aus der Cola-Flasche gereicht – und bin überrascht wie mild und fruchtig der Hochprozentige schmeckt. Die Männerrunde hat wohl ihre Freude, dass ihr Getränk so gut Anklang findet, und natürlich geht das Glas weiter an meine Mitreisendenden. Und landet kurz darauf wieder bei mir: „Gagimardschos!“ – „Prost“. Eines der wenigen georgischen Wörter, die ich mir gemerkt habe. Ich stelle das leere Glas wieder auf den Tisch – und es wird sogleich wieder aufgefüllt. Lektion Nr. 2: immer einen Rest im Glas lassen, sonst kommt es gut gefüllt wieder zu mir zurück.
Der Cha-Cha Spender erklärt im gebrochenen Englisch, dass ihm der Wehrturm gehört, der eine Straße weiter in den Himmel ragt. So sieht also ein Turmherr aus. Gar nicht mal so schlecht 😉
Als die zweite Cola-Flasche am Tisch steht, wollen wir diese Runde bezahlen. Was aber unter keinen Umständen erlaubt wird. Dafür macht das Glas wieder die Runde und wir trinken auf Germania, Austria und Georgien. Inzwischen stehen noch ein paar weitere Teller mit Essen am Tisch. Der Bruder der Braut versorgt uns noch mal mit einer Runde Bier aus dem Kühlschrank, dessen Inhalt sich gefährlich nahe dem Ende zuneigt.
Obwohl das Cha-Cha Glas auch immer wieder bei meinen Begleitern vorbeikommt, landet es doch sehr oft mit „Gagimardschos!“ und meinem Namen bei mir. Ich scheine für heute die Cha-Cha Queen zu sein.
Als dann das Gespräch auf Fußball kommt, wird die Stimmung noch ausgelassener. Unsere einheimischen Freunde dürften doch ein paar deutsche Fußballer und deren Mannschaften kennen: Dynamo Dresden, Herta BSC, Werder Bremen und sogar auf die Rapid Wien wird angestoßen. Beim Namen „Kobiaschwilli“ bricht reihum der Jubel los – ein georgischer Fußballer, der zuletzt wohl bei Herta BSC gespielt hat und nun Präsident des Georgischen Fußball-Verbandes ist. Das Cha-Cha Glas macht wieder die Runde, Umarmungen und einer meiner Mitreisender wird sogar auf die Wange geküsst. Beim Fußball versteht man sich halt in allen Sprachen 🙂
Mittlerweile hat sich die Terrasse mit weiteren Männern gefüllt. Eine dritte Cha-Cha Flasche steht auf dem Tisch. Silvia und ich sind die einzigen Frauen in der Runde. Gut, dass wir noch Verstärkung von zwei männlichen Mitgliedern aus der Reisegruppe haben – sonst wäre uns schon etwas mulmig zumute. Obwohl die Stimmung zwar ausgelassen, aber keineswegs bedrohlich ist.
Irgendwann beschließen wir dann, das Ende der dritten Cha-Cha Flasche nicht mehr abzuwarten, sondern schon vorher Richtung Guesthouse zu wanken. Trotzdem fühlt sich mein Kopf am nächsten Morgen so an, als hätten sich alle Schmetterlinge des Dorfes darin versammelt. Aber für diesen Abend hat es sich auf jeden Fall gelohnt 🙂
(Georgien, Juni 2019)