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Fast 6.000 wilde Elefanten gibt es in Sri Lanka – für eine Fläche, die kleiner als Bayern ist, eine ganze Menge. Dagegen erscheint einem die Zahl der zahmen Arbeitselefanten mit 150 verschwindend gering. Damit hat die kleine Insel im Süden Indiens laut Schätzungen die höchste Elefanten-Dichte in ganz Asien. Und doch steht der Asiatische Elefant auf der roten Liste gefährdeter Tierarten. Sein Lebensraum verkleinert sich stetig und Konflikte zwischen den grauen Riesen und der lokalen Bevölkerung steigen. 150 bis 200 von ihnen werden jährlich getötet, weil sie den Menschen zu nahe kommen.
Obwohl sich die meisten Populationen auf die Nationalparks beschränken, soll man sie auch immer wieder außerhalb der Parks entlang der Straße antreffen. Aber uns hat sich noch kein Exemplar gezeigt, obwohl wir nun schon gut eine Woche auf der grünen Insel unterwegs sind. Irgendwie kann ich mir auch gar nicht so richtig vorstellen, dass so ein imposantes Tier einfach so durch die Gegend marschiert – so wie bei uns Hirsche oder Rehe. Aber die kleinen, mit Palmenblättern gedeckten Baumhütten inmitten der Felder zeugen davon, dass hier ab und zu einer der Dickhäuter vorbeischaut: sie dienen den Bauern als Hochsitze, um die hungrigen Gäste zu vertreiben. Und manchmal ist so eine Hütte auch letzter Zufluchtsort vor einem wütenden Bullen. Bei solchen Zusammenstößen kommen laut Statistik pro Jahr etwa rund 50 Menschen ums Leben.
Am Nachmittag führt unsere Route zwischen zwei Nationalparks hindurch. Gute Chancen eigentlich, einen Ceylon-Elefant – den größten der drei asiatischen Unterarten – anzutreffen. Aber wie angestrengt ich auch in die Büsche rechts und links starre, kein Rüssel weit und breit zu erblicken. Langsam dämmert es, das Gestrüpp am Straßenrand ist nur noch vage zu erkennen. Dann ein Ruf aus den vorderen Reihen im Bus und wir bremsen ab. Und wirklich, direkt vor uns steht ein Elefant am Rand der Straße. Sehr entspannt sieht er aus, lässt sich vom vorbeiflitzenden Verkehr nicht stören, angelt sich ein paar Blätter aus dem nächsten Baum. Langsam rollt unser Bus vorbei und bleibt dann stehen.
Nun habe ich durch das Rückfenster klare Sicht auf den ungewöhnlichen Fußgänger. Etwas unwirklich erscheint er im noch vorhandenen Tageslicht. Schemenhaft zeichnen sich seine Umrisse gegen den Abendhimmel ab. Beeindruckend und etwas furchteinflößend. Ich kann die Warnungen verstehen, dass man keinesfalls sein Auto verlassen sollte, wenn man auf einen von ihnen trifft. Schwach kann man noch das hell-rosa Muster auf seiner Stirn erkennen, das bei jedem Tier einzigartig ist.
Gerade wendet er sich der Straße zu, als würde er kurz nachdenken, ob sich eine Überquerung auch lohnt. Dann schlendert er gemächlich Richtung Mittelstreifen. Ein Tuk-Tuk kann gerade noch ausweichen und ich kann den erschreckten Schrei des Lenkers durch die Busfenster hindurch hören. Unbeeindruckt setzt der Dickhäuter seinen Weg auf die andere Seite fort. Dreht sich dort noch einmal um und schaut in unsere Richtung. Tänzelt kurz von einem Bein auf das andere und wiegt seinen Kopf hin und her, als wollte er sagen: „Tse, tse, immer diese Touristen!“. Bevor seine dunkle Gestalt wieder zwischen den Bäumen verschwindet.
(Sri Lanka, November 2019)