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Ich folge der kleinen Kolonne von Kapuzenmännern durch den verwachsenen Regenwald. Trotz der dichten Blätter über mir kann ich die Regentropfen spüren, die auf meinem Kopf landen. Bird-Watching Tour… Im Regen… Wie erwartet lassen sich so gut wie keine Vögel blicken. Was ich auch verstehen kann. Ich würde mich bei dem feuchten Wetter auch lieber an einem warmen, trockenen Platz verkriechen. Aber heute ist unser einziger Tag im Chitwan Nationalpark. Da will ich alle Chancen auf etwas Wildlife nützen – auch wenn das heißt, mit mehreren Schichten von Pullovern unter meiner Cortex-Jacke durch den Regen zu laufen.
Plötzlich stockt die Kolonne, und einer der Guides deutet ganz aufgeregt in das grüne Blättergewirr vor uns. Angestrengt schaue ich noch vorne und erkenne schließlich die kleinen Ohren und den dazugehörigen Kopf, rechts davon den schwarzen massigen Körper, fast versteckt hinter den Büschen. Ein Panzernashorn. Vielleicht 15 Meter vor uns. Anscheinend hat es uns noch nicht bemerkt, denn es knabbert noch genüsslich an den grünen Zweigen vor ihm. Neben mir bricht Hektik aus und man kann aufgeregtes Flüstern hören. Jeder möchte natürlich ein Foto schießen, was aber vor lauter Bäumen gar nicht so einfach ist. Dann ein kurzes Krachen und Knacken, und das Nashorn ist verschwunden.
Gute 600 soll es von ihnen noch in diesem Nationalpark geben. Einer der letzten Zufluchtsorte für diese massigen Tiere, von denen es geschätzt weltweit nur noch knapp 3.000 gibt. Dass sie hier weitgehend ungestört leben können, ist nicht zuletzt dem nepalesischen Militär zu verdanken, das hier mehr als 40 Stützpunkte hat, um Wilderer abzuschrecken. Das einzige Horn des urzeitlichen Tieres, dessen faltige Haut den Anschein eines Panzers erweckt, ist in der Chinesischen Medizin immer noch heiß begehrt und kann um hohe Summen verkauft werden.
Wir wandern weiter im Zickzack auf verschlungenen Pfaden durch den dichten Wald. Langsam werden auch meine Zehen feucht, meine Kamera ist schon ziemlich beleidigt ob des feuchten Klimas. Mittlerweile habe ich jegliche Orientierung verloren. Wenn unsere Guides uns hier aussetzen würden, hätte ich keine Ahnung, wie ich wieder zum Fluss kommen würde, über den wir von unserer Lodge in den Park übergesetzt haben.
Endlich lichtet sich der Wald und wir stehen vor einem kleinen Bach, der sich seinen Weg über den lehmigen Boden Richtung Fluss bahnt. Kurze Aufregung, weil einer der Guides glaubt, noch ein Rhinozeros im dichten Gras zu erkennen. Das entpuppt sich dann aber als Baumstamm… (auch ein Guide kann sich mal irren).
Wir stolpern die Böschung hinunter und stehen im mannshohen Elefantengras, das den flachen Uferbereich des Flusses bedeckt. Während wir uns den Weg zwischen den dichten Grasbüscheln suchen, frage ich mich, wie unsere Guides in diesem Terrain wissen, wo sich ein Nashorn aufhält. Sie sind nur mit Stöcken und Steinen bewaffnet – nicht viel Schutz gegen einen Drei-Tonnen-Koloss, der sich in Bewegung setzt. Angeblich ist einer von ihnen ein guter Spurenleser und kann die gepanzerten Tiere sogar riechen…
Ganz in Gedanken versunken, die Augen auf den unebenen Boden gerichtet, werde ich fast von den vorderen in der Gruppe überrannt, die auf einmal in die andere Richtung los stürmen. Der erste stolpert, und schon liegen drei Menschen in einem Knäuel am Boden. Verdutzt schaue ich nach vorne. Kann nichts Aufregendes erkennen, sehe nur die fragenden Blicke der übrigen Gruppenmitglieder. Doch dann bewegt sich etwas Großes, Graues hinter den Gräsern. Knappe fünf Meter vor uns. Die kleinen Ohren schauen in unsere Richtung. Nun tauchen auch die Guides auf und deuten uns, langsam rückwärts zu gehen. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Schritt für Schritt, vorsichtig, damit ich nicht in einem der Löcher hängen bleibe und auch am Boden lande. Die anderen haben sich mittlerweile auch wieder aufgerappelt und wir treten alle den Rückzug an. Zwei, drei Steine fliegen noch – aber die machen nicht sehr viel Eindruck. Aber so wirklich spannend scheinen wir auch nicht zu sein, denn die kleinen Ohren bleiben immer am gleichen Platz, scheinen uns also nicht zu verfolgen.
Als wir wieder am Fluss sind und in den schwankenden Einbaum steigen, der uns wieder ans andere Ufer bringt, habe ich immer noch ein bisschen Herzklopfen. Blicke gespannt auf die undurchsichtige Wand aus Gras… Alles ruhig, keine Ohren zu erkennen.
Am nächsten Morgen stehe ich schon vor Sonnenaufgang auf der Aussichtsterrasse der Lodge. Ich beobachte eines der Nashörner, das sich schmatzend durch die Wiese am Fluss bewegt. Meine Fotos werden zwar etwas unscharf im Licht der Dämmerung und auf diese Entfernung – aber dafür ist mir der große Abstand um einiges lieber.
(Nepal, Januar 2020)