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Über uns erstreckt sich die Milchstraße in atemberaubender Klarheit. Dunkelheit hüllt uns ein, nur die kleine Kerzenflamme weist den Weg zum Weinglas. Dick eingehüllt in eine Decke und mit kleinen Atemwölkchen vor dem Mund genießen wir die klare Luft, die Stille und den Sternenhimmel der September-Nacht.
Wir sind im Gesäuse und erfreuen uns an einem der dunkelsten Nachthimmel Europas. Und lassen die Ereignisse des Nachmittags noch mal Revue passieren: die kurze Fahrt im Jeep zu viert mit dem Revierförster, dann den gemütlichen Anstieg durch einen fast weglosen Wald. Kurz mussten wir warten bis die Sonne hinter dem gegenüberliegenden Berghang verschwunden war. Dann kam der Wind wohl aus der richtigen Richtung und lautlos ging es weiter bis zur kleinen Holzhütte mit dem großen Sichtfenster. Aufgereiht wie die Hühner machen wir uns bereit: Thermoskanne, Fernglas und Kamera – alles griffbereit. Zum Hirschlosen.
Es ist schon etwas dämmerig als wir es das erste Mal hören: dieses tiefe, lang gezogene Rufen, das so leidend klingt, dass man fast Mitleid bekommt. „Röhren“ sagt man wohl im Fachjargon dazu. Es kommt von links aus einer Baumgruppe, nähert sich langsam. Angestrengt starren wir auf den gegenüberliegenden Hang.
Da! Es bewegt sich etwas! Direkt vor uns tritt eine Hirschkuh auf die Lichtung, dicht hinter ihr noch ein Kalb, wohl aus diesem Sommer. Die Dame zeigt sich jedoch recht unbeeindruckt vom eindringlichen Rufen des unsichtbaren Herrn. Gemächlich wandert sie durch das hohe Gras.
Unsere Blicke wandern immer wieder nach links, wo der klagende Ruf langsam näher kommt. Doch unsere Geduld wird auf die Probe gestellt. Es dauert noch gute dreißig Minuten bis wir zwischen den Bäumen einen dunklen Schatten erkennen. Noch ein paar Schritte und das prachtvolle Tier zeigt sich in seiner vollen Größe mit mächtigem Geweih. Bleibt stehen, hebt den Kopf und lässt wieder ein kraftvolles Röhren hören.
Noch hat er die Hirschkuh nicht bemerkt, die wohl auch nicht in Stimmung ist und sich wieder hinter die Bäume verzieht. Etwas ziellos bewegt er sich über die Lichtung, hält wieder inne und lässt mit gehobenem Kopf seine Stimme erklingen.



Die Konturen verschwimmen im spärlich werdenden Licht und es wird immer schwieriger, dem König des Waldes zu folgen. Die Kamera habe ich mittlerweile zur Seite gelegt und versuche, durch das Fernglas noch ein paar Umrisse zu erkennen. Nur das Röhren zeigt noch an, wo sich der Hirsch bewegt.
Dann ist auch das letzte Licht verschwunden und wir treten den Rückweg durch den stockdunklen Wald an. Unsere Taschenlampen dürfen wir noch nicht verwenden, um die Tiere nicht zu verscheuchen. Während ich noch versuche, nicht über die Baumwurzeln zu stolpern, streift mich ein Geruch, wild und animalisch, intensiv. Und ist auch schon wieder vorbei. Ein Hirsch ist wohl ganz in der Nähe an uns vorbei gezogen, wie uns der Förster nachher erklärt.
Ein kleiner Blick auf noch etwas wilde Natur, die sich in unseren Wäldern versteckt.
(Österreich, September 2021)