Der warme Sand kitzelt zwischen den Zehen, ich schiebe meine Füße etwas tiefer in die kühleren Sandschichten. Eine Erholung nach den 20 km, die ich heute entlang der wunderschönen Küste erwandert habe. Das kühle Bier steckt in einem kleinen Sandhügel und Tropfen von Kondenswasser suchen sich ihren Weg entlang des braunen Glases. Genüsslich lehne ich mich an den warmen Felsen und genieße die Abendstimmung an der grandiosen Kulisse der Algarve.
Kinder toben, Paare schlendern Händchen-haltend über den Strand, ein paar Jugendliche spielen Ball während sich die Sonne langsam dem Horizont nähert und alles in goldenes Licht taucht.
Von links schiebt sich eine Silhouette in mein Blickfeld, die so gar nicht in diese Landschaft passt. Ich schaue genauer hin. Und wirklich, ein junger Mann schiebt seinen Rollator über den Strand. Völlig entspannt in kurzer Hose, die Schuhe vorne ans Gestänge gebunden, setzt er bedächtig einen Fuß vor den anderen. Bleibt stehen und schaut in die Brandung. Beim Weitergehen malt er spielerisch Muster mit den Rädern in den feuchten Sand. Bewegt sich durch die Brandung, mit sichtlicher Freude an Meer, Strand und Sonne.
Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt mit einem Rollator am Meer entlang zu spazieren.
„Ja, warum ist es eigentlich nicht selbstverständlich?“ denke ich bei mir. Funktioniert ja bestens, soweit ich das erkennen kann. Wahrscheinlich sind das wieder meine Vorurteile, die immer schnell zur Stelle sind, wenn ich etwas sehe, das nicht meinen Erwartungen entspricht. „Geht nicht. Zu unsicher. Unverantwortlich…“ kommt einem da schnell in den Sinn. Aber wenn ich mir den jungen Herrn so ansehe, wie er sein Tun genießt ohne irgendwelche Bedenken, da freue ich mich, dass er es tut – so ganz selbstverständlich.
Am Horizont schimmert der Himmel schon rosa als ich mich aus dem Zelt schäle und Richtung „Busch-Klo“ stapfe: ein Loch im Boden, das mit einer Plane rundherum abgeschirmt ist.
Noch ist es still, nur ein Vogel wiederholt unermüdlich seine kleine Melodie. Doch langsam sind auch aus den anderen Zelten Geräusche und Stimmen zu hören. Auf dem Lagerfeuer steht schon der schwere Kessel mit dem Kaffewasser, während ich meine spartanische Morgentoilette erledige, die aus ein paar Spritzern Wasser im Gesicht besteht und dem relativ fruchtlosen Versuch, die vom Wüstensand strohigen Haare in eine Form zu bringen.
Aufgeregte Stimmen dringen zu mir: jemand hat Löwenspuren entdeckt, die direkt durchs Lager führen und kurz vor meinem Zelt wieder Richtung Busch abbiegen. Anscheinend hat das Löwenpärchen, das gestern Abend an der Abzweigung zu unserem Zeltplatz faul unter einem Busch lag, heute Nacht einen Ausflug zu unseren Zelten unternommen. Einige in der Gruppe wollen die großen Katzen wohl auch gesehen haben.
Ich habe mal wieder alles verschlafen und nichts mitbekommen. Weder die Löwen noch die Hyänen, die durchs Lager streiften, noch den Elefanten, der ein paar Meter hinter meinem Zelt einen Baum gefällt hat. Wieder einmal tut es mir etwas leid, dass ich gar so gut im Zelt schlafe.
Nach einem kurzen Frühstück geht es im Geländewagen auf die Pirsch. Die Sonne steht mittlerweile über dem Horizont, hält sich aber noch zurück mit ihren wärmenden Strahlen. Die Temperatur ist angenehm und der Fahrwind fast noch etwas kühl.
Wir holpern über die Sandpiste auf eine Ebene zu, auf der das vertrocknete Gras in der Morgensonne gelb leuchtet. Es ist das Ende der Trockenzeit und die vorherrschenden Farben sind Gelb- und Brauntöne. Ab und zu sorgt eine Akazie mit ihrer schirmartigen Krone für etwa Grün in der Landschaft. Der feine Staub ist allgegenwärtig und ich habe es längst aufgegeben, ihn aus Kleidung oder Haaren zu entfernen.
Plötzlich ein aufgeregter Ruf: am Horizont bewegt sich eine Reihe dunkler Punkte auf uns zu. Beim Näherkommen sind die großen Ohren und das gefleckte Fell zu erkennen: ein Rudel Afrikanischer Wildhunde, wir zählen vierzehn der bunten Tiere. Ein schönes und seltenes Erlebnis, denn mittlerweile sind sie vom Aussterben bedroht. Neugierig umrunden sie unser Auto und mustern mit ihren wachen Augen die etwas verstaubten Wesen, die ihre Kameras und Handies zücken. Doch ihr Interesse lässt bald nach und sie sind wieder am Horizont verschwunden.
Wir befinden uns in einem der größten Naturreservate der Welt, dem Kalahari Game Reserve, das erst 1998 für den Tourismus geöffnet wurde. Endlose Holperpisten führen durch dornige Büsche und trockene Ebenen. Man hat das Gefühl, mitten im Nirgendwo zu sein: kein Zeichen von Zivilisation, man kann über Stunden unterwegs sein, ohne ein größeres Säugetier zu sehen. Ein Gegensatz zu den Reservaten in anderen afrikanischen Ländern, die im Vergleich zu hier fast überfüllt erscheinen.
Sandpisten, Schirmakazie, Steinböckchen und Erdhörnchen
Und gerade das hat seinen Reiz: das Ursprüngliche, die Leere und auch das Leben, das einem trotz der kargen und trockenen Landschaft immer wieder begegnet.
Hier herrscht die Natur, der Mensch ist nur Gast und muss sich mit Staub und Hitze arrangieren.
Als Belohnung gibt es jeden Abend einen kitschigen Sonnenuntergang, wenn die Sonne am Horizont versinkt und den ganzen Himmel rosa färbt. Wenig später spannt sich ein fantastischer Sternenhimmel über uns auf, so klar und sternenreich, wie man ihn nur selten sieht.
Durch die Netzfenster meines Zeltes zeichnen die Äste der kahlen Bäume ein Muster in den Himmel. Dazwischen funkeln die Sterne. Ein paar Kilometer entfernt lässt ein Löwe sein kraftvolles Gebrüll ertönen. Das beschert mir jedes Mal wieder eine leichte Gänsehaut und erinnert mich daran, dass diese großen Katzen, die tagsüber so faul unter den Bäumen dösen, sehr wohl auch anders können.
In dieser Nacht werde ich sogar wach und sehe ein paar Meter von meinem Zelt entfernt die dunkle Gestalt eines Elefanten stehen. „Schön“ denke ich bei mir, kuschele mich in meinen Schlafsack und fühle mich geborgen in der Welt der Kalahari.