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Es ist ungewöhnlich ruhig, als wir an diesem Morgen vor unser Hotel auf die enge Gasse treten. Seit gestern streikt der öffentliche Transport in La Paz und es sind keine Taxis und öffentlichen Busse unterwegs. Das heißt aber auch, dass wir derzeit in dem Talkessel auf 4.000 Meter festsitzen, weil natürlich weder Zug noch Bus die Stadt verlassen. Und die bewaffneten Soldaten, die in den Straßen zu sehen sind, verursachen dazu noch ein leicht mulmiges Gefühl im Magen.
Aber noch scheint alles friedlich und an den von Häusern gesäumten Wänden des Kessels, in dem die Stadt liegt, steigt der Morgennebel in den klaren Himmel auf, dessen Blau nur in großer Höhe so strahlen kann. Der Weg zum Mercado de la Brujas, dem Hexenmarkt, ist ein angenehmer Spaziergang, da wir heute die Straßen ohne Verkehr stressfrei überqueren können.
Der Markt der Brujas zwängt sich mit seinen Ständen in eine enge Gasse. Jeder kleine Stand ist vom Boden bis zur Decke mit Waren vollgepackt und mittendrin sitzt meistens eine kleine, runzelige Frau mit Melonenhut und buntem Poncho. Jede „Hexe“ hat sich wohl auf etwas spezialisiert: da gibt es getrocknete Frösche und andere Reptilien in Einmachgläsern im Stand links von mir, während auf der anderen Seite Hunderte von kleinen Gläsern mit Pulvern in unterschiedlichen Farben gestapelt sind. Getrocknete Pflanzen, Amulette, kleine und größere Steinfiguren: hier bekommt man wohl für jede Krankheit oder Wehwehchen ein Gegenmittel. Am Meisten schockieren uns jedoch die getrockneten Föten von Lamas, die man fast an jedem Stand erwerben kann: sie sollen wohl Glück bringen, wenn man sie unter seinem Haus vergräbt. Wir halten gebührend Abstand zu den kleinen Körpern, als könnten sie plötzlich zum Leben erwachen und uns mit ihren toten Augen anschauen.
Wir bewegen uns durch eine fremde Welt, in der nicht Antibiotika und Ärzte Krankheiten heilen, sondern geheimnisvolle Pulver, die nach über Generationen überlieferten, geheimen Rezepten hergestellt werden. Und natürlich werden nicht nur Krankheiten bekämpft, sondern man kann sich auch Talismane für Glück, Schönheit oder Reichtum kaufen. An einem Stand mit vielen kleinen Figuren erwirbt meine Freundin nach einigem Handeln einen Glücksbringer für eine glückliche Familie. Leider hat die Bruja nicht genügend Wechselgeld und schaut mich an und drückt mir dann eine ca. fünf Zentimeter große Statue in die Hand: damit auch ich eine glückliche Familie bekomme. Und damit das auch mit der Fruchtbarkeit klappt, wickelt sie noch einen bunten Wollfaden um den Bauch der Figur und schaut mir dabei fest in die Augen.
Und seitdem steht sie bei mir Bücherregal, die kleine Familiengöttin mit ihren zwei Kindern und schaut mich fragend an – wann denn nun endlich das mit der Familie losgeht.
(Bolivien, Januar 2003)