Im Reich des Auerhahns

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Es ist stockdunkel in dem kleinen Zelt. Nicht mal die Luke für die Kameras ist zu erkennen. Vor gut einer Stunde sind wir nach einer kurzen Wanderung unter klarem Sternenhimmel in den Wald abgebogen und zu den zwei kleinen Zelten aufgestiegen. Im Tal lag hell der Nebel, hinter den Stämmen leuchtete der Wald.

Im Schein der Stirnlampe ziehe ich noch ein paar Kleiderschichten über und richte mich mit meiner Kamera in dem kleinen Zelt ein. Die beiden Campingsessel und unsere Rucksäcke haben so gerade Platz. Nun ist es dunkel und still. Ich schließe die Augen, kann aber nicht wirklich einen Unterschied erkennen. Versuche, ohne zu viel Rascheln eine bequeme Position zu finden. Die Zeit scheint zu stehen, der Wald schläft noch. Kein Wind, keine Blätter, die wispern. Nur ab und zu ist der trällernde Ruf eines Waldkauzes zu hören.

Ich bewege meine Zehen in den dicken Socken, um das Eindringen der Kälte noch etwas hinauszuzögern. Knapp drei Grad zeigte das Thermometer an. Ich habe so viele Schichten an Kleidung an, dass ich mich kaum bewegen kann. Fast fühle ich mich wie eine Astronautin im dicken Raumanzug, die irgendwo im dunklen Weltall schwebt.

Die Ränder der Zeltluke kann man im ersten Lichtschimmer erahnen, als wir es das erste Mal hören: zuerst ein Klacken, das dann in das sogenannte Schleifen oder Wetzen übergeht, das fast so ähnlich klingt, wie wenn man ein Messer schleifen würde. Der erste Hahn hat mit seinem Gesang begonnen. Zuerst links vom Zelt, dann scheint ein weiterer Hahn auf der anderen Seite aufzutauchen. Abwechselnd singen sie die Strophen ihrer Gesänge. Es hat fast etwas Magisches, diesen Lauten in völliger Dunkelheit zu lauschen. Dazwischen ist immer wieder ein kurzes Flattern zu hören, wenn sich ein Hahn kurz in die Luft erhebt und ein Stück weit springt.

Nach einer Zeitlang wird es wieder still. Langsam erwacht der Wald, die ersten Sonnenstrahlen bahnen sich ihren Weg durch die Baumstämme. Ein Specht ruft lachend und trommelt dann um die Gunst der Damen. Die ersten Vögel stimmen ihren Morgengesang an.

Nur die Hähne sind weit und breit nicht zu sehen.

Dann kommt die Nachricht vom anderen Zelt, dass sie wohl hinter uns den Hang hinaufkommen. Und dann hört man schon das Flügelschlagen links von uns. Endlich sehe ich den dunklen Vogel, der mit breit gefächertem Schwanz und hoch gerecktem Hals zwischen den Bäumen auftaucht. Sehr auf seine Haltung bedacht, majestätisch und stolz setzt er einen Fuß vor den anderen. Bleibt kurz stehen, singt seine Strophen, dreht sich nach allen Seiten und flattert, springt wieder ein Stück.

Ein weiterer Hahn und eine Henne tauchen auf. Kurz wird es unruhig, bis wieder klar ist, wer hier der „Platzhirsch“ ist, und der zweite auch schon wieder verschwunden ist. Doch auch die Henne scheint wenig interessiert, dreht sich noch kurz nach dem stolzen Herrn um und verschwindet dann wieder im Unterholz.

Unbeirrt tänzelt der elegante Vogel über den Balzplatz: wunderschön ist er mit dem leuchtend roten Strich über den Augen, dem blau und grün schimmernden Gefieder und den zu einem Rad geschlagenen Schwanzfedern, die mit weißen Tupfen verziert sind. Wie aufgezogen bewegt er sich über den Waldboden, verschwindet hinter den Baumstämmen und taucht an anderer Stelle wieder auf. Gar nicht so leicht, ihn mit der Kamera zu verfolgen und im richtigen Moment abzudrücken.

Als der Hahn schließlich hinter den Bäumen verschwunden ist, weiß ich nicht, wieviel Zeit vergangen ist. So versunken war ich in das Schauspiel, dass ich alles andere um mich herum vergessen habe. Nicht mal die Kälte, die langsam in meine Kleiderschichten kriecht, oder die nun doch schon etwas abgefrorenen Zehen, habe ich bemerkt.

Mittlerweile ist der Wald um uns herum in ein goldenes Licht getaucht und das Konzert der Vögel ist in vollem Gange.

Weit entfernt ist zwischen den dunklen Baumstämmen der unterlegene Hahn zu sehen, der dort einsam seine Runden dreht und fast schon etwas verloren seinen Gesang in die dunklen Kronen der Fichten schickt.

(Österreich, April 2023)

Morgens…

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Mit dem frischen Kaffee kuschele ich mich wieder ins Bett und schaue durch die Balkontür aufs Meer. Noch sind die Felsformationen nur als dunkle Umrisse zu erkennen. Eine Möwe schreit, leise singt der Wind über die Wellen.

Soll ich? Soll ich nicht?

Das warme Bett will mich festhalten, verlockend noch eine Zeitlang in den Federn zu bleiben und der Sonne zuzusehen, wie sie aus dem Meer steigt.

Noch ein Schluck vom heißen Kaffee, langsam tut er seine Wirkung.

Andrerseits, die Gelegenheit bietet sich sonst nicht… Ok, der Entschluss ist gefasst. Ich trinke den letzten Rest vom Kaffee, schlage die Decke zurück und suche mein Badezeug. Als ich fünf Minuten später vor dem Hotel stehe, zeigt sich schon ein heller Schimmer über dem Horizont. Die Luft ist noch kühl und ich wickle den Bademantel enger um mich. Der Weg über die Straße ist kurz, noch ist alles ruhig.

Ich steige die Treppen hinunter zu den schwarzen Lavafelsen. Keine Menschenseele zu sehen. Das Wasser schimmert grünlich und etwas geheimnisvoll. Die Schatten einiger Fische gleiten unter der Oberfläche dahin. Rechts und links von mir erheben sich 2-3 Meter hohe Türme aus erstarrter Lava in der Dämmerung.

Die frische Morgenluft hüllt mich ein, als ich den Bademantel auf einem Felsen ablege. Kurz streift mich eine Gänsehaut. Der erste Schritt ins kalte Wasser lässt mich frösteln. Doch nun gibt es kein Zurück mehr. Kurze Abkühlung und schon bin ich mittendrin im salzigen Nass. Spüre eine Prickeln am ganzen Körper, wie kleine Nadeln.

Mit raschen Zügen schwimme ich durch das Labyrinth aus Lavatürmen bis zur künstlichen Mauer, hinter der das Meer seine Wellen gegen die Felsen schleudert. Feine Gischt spritzt mir ins Gesicht. Eine Krabbe ist auf den Felsen schon auf der Suche nach einem Frühstück. Leuchtend rot strahlt ihr Panzer im Licht des erwachenden Tages.

Ich schwimme ein paar Runden zwischen den Felsen, genieße das kühle Wasser und die Ruhe, untermalt vom leisen Rauschen der Wellen. Langsam nimmt meine Umgebung Konturen an, das unergründliche Grün des Wassers verwandelt sich in freundliches Türkis.

Als ich mich in meinen Bademantel hülle und zurück Richtung Hotel gehe, lugen schon die ersten Strahlen der Sonne über das Meer.

„Warst du schon schwimmen? Du siehst so frisch aus.“

(Madeira, Portugal, Dezember 2022)

Wasserwelt

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Ruhig gleitet der Einbaum durch den schmalen Kanal, rechts und links erhebt sich mannshoher Papyrus. Die Mittagssonne brennt erbarmungslos auf uns herunter, kaum ein Lufthauch, der etwas Kühlung bringen könnte. Die Stille wird nur durch das Geplauder unserer Chauffeure unterbrochen, begleitet vom leisen Plätschern beim Eintauchen der langen Stangen ins Wasser, mit der die Boote vorwärts bewegt werden.

Ab und zu streckt eine Seerose ihre Blüte aus dem Wasser: weiß und lila leuchten sie über dem dunklen Nass. Zwei Elefanten stehen nahe am Ufer und futtern geräuschvoll das hohe Gras. Gut, dass sie nicht gerade in unserer Schneise stehen, sonst müssten wir wohl einen größeren Umweg machen.

So sind wir nach gut einer Stunde an unserem Lagerplatz angekommen, einer Insel mitten im Delta. Beim Entladen der Boote helfen alle mit: Zelte, Matratzen, Kochgeschirr, Wasserkanister und auch unser Gepäck müssen eine kleine Anhöhe hinauf getragen werden. Der Zeltaufbau in der brütenden Hitze ist wie immer schweißtreibend. Zu allem Überfluss ist mein Zelt plötzlich rechts und links von anderen Zelten umringt. Das ist mir eindeutig zu viel Nähe. Ich suche mir jemanden, der mit mir das Zelt auf einen anderen Platz trägt. Hier gibt es zwar mehr Sonne, aber tagsüber halte ich es sowieso nicht im heißen Zelt aus und dafür bin ich nachts vor störenden Schnarchern sicher.

Zum Schluss noch die Anweisungen vom Guide: Das Zelt immer gut schließen, da Ameisen, Schlangen oder Ratten sonst ungebetene Gäste sein könnten. Und keine Wanderungen auf eigene Faust zu weit vom Lager weg: „Elephants can be just around the corner.“

Einige Stunden später besucht uns dann wirklich eine Elefantenfamilie, um sich im Fluss abzukühlen und zu trinken. Ein schönes und aufregendes Gefühl, die Dickhäuter so nahe und ohne das schützende Blech eines Autos zu beobachten.

Gegen Abend geht es noch mal in die Boote. Im Vorbeigleiten entdecken wir am Ufer zwei alte Büffel, deren Gesichter von den Jahren schon ganz weiß sind. Fast wie in Stein gemeißelt wirken ihre stoischen Züge.

Dann weitet sich der Kanal und wir hören schon das Prusten der Nilpferde, die sich hier wohl niedergelassen haben. Wir halten uns dicht am Ufer und ich muss den langen, etwas störrischen Grashalmen ausweichen. Der Guide macht mich auf einen gefleckten Mini-Frosch aufmerksam, der an einem der Gräser zu kleben scheint: ein Glockenfrosch, der seinen Namen von seinem glockenhellen Gesang hat, den er in der Dämmerung anstimmt.

Mittlerweile liegt unser Boot Aug‘ in Aug‘ mit den Hippos, die vor uns im Wasser stehen. Nur einige Meter trennen uns. Kleine Ohren zwischen denen uns zwei Augen argwöhnisch beobachten. So ganz geheuer ist mir das nicht. Habe ich doch schon erlebt, wie schnell diese großen Tiere sein können. Besonders eines schaut schon halb aus dem Wasser und scheint mir mit seinem Blick zu sagen: „Ich sehe ganz genau, was du tust.“ Doch heute bleibt es beim gegenseitigen Abschätzen und Beobachten.

Die goldgelbe Scheibe der Sonne nähert sich schon dem Horizont als wir unseren Rückweg antreten. Tiefrot ist der Himmel, davor zeichnen sich die Silhouetten der Bäume ab. Nun beginnt auch das Konzert der kleinen Frösche. Erst hört man nur ein paar vereinzelt, dann stimmen immer mehr ihre Glockentöne an.

Später sitzen wir um das Feuer, hören unserem Guide zu, der von den umständlichen und langwierigen lokalen Ritualen der Hochzeit erzählt. Wo der Schein der Flammen nicht mehr hinreicht, beginnt die Dunkelheit. Die Bäume werfen lange und flackernde Schatten.

Ich gehe noch mal runter zum Wasser. Sternenklare Nacht, schwarz schimmert der Fluss. Zwischen den Gräsern bewegen sich kleine helle Punkte: Glühwürmchen sind auf der Suche nach Liebe. Das Prusten eines Nilpferds mischt sich in die Rufe der Glockenfrösche. Die Luft ist immer noch warm und hüllt einen in ihre Schwüle. Unwirklich und doch intensiv.

Unnatürlich laut erscheint mir das Surren des Reißverschlusses, als ich mein Zelt fest verschließe. Der Schlafsack wartet schon und morgen vor Sonnenaufgang startet der nächste Tag im Okawango Delta.

(Botswana, Oktober 2022)

Die Rückkehr

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Die Sonne steht schon tief und ihre letzten Strahlen leuchten durch die Blätter der Bäume und zeichnen ein Schattenmuster auf den schmalen Waldweg. Es ist immer noch heiß und schwül, aber hier am Rande von Wien spürt man schon ein paar Grade weniger. Ich genieße die Ruhe und die Natur in den Abendstunden. Eine schöne Abwechslung zu der Großstadt im Hochsommer.

Mir kommt eine Spaziergängerin mit Hund entgegen und wie immer beschleicht mich ein komisches Gefühlt und die Angst, jemand könnte mich nach dem Inhalt der großen Tragtasche fragen, die ich in meiner rechten Hand halte. Oder ein Hund könnte erschnüffeln, was für eine seltsame Fracht ich mit mir führe.

Ich werfe einen kurzen Blick in die Tasche: heute sind es gut 40 tote Hühnerküken, die ich spazieren trage. Das Gewirr aus kleinen Schnäbeln, Krallen, Miniflügeln und Köpfen erzeugt bei immer noch ein Gefühl der Traurigkeit. Obwohl ich mir sage, dass die männlichen Küken so zumindest noch einem guten Zweck zugeführt werden, anstatt gleich im Schredder zu landen.

Es dämmert schon, als ich von der Schotterstraße in den kleinen Pfad einbiege. Langsam und behutsam steige ich über dornige Brombeerzweige und schaue immer wieder nach oben in die kahlen Äste. Wird sich heute wer zeigen? Wartet schon wer?

Ich höre ein leises Rufen aus den Bäumen, kann aber nichts entdecken. Vor der Futterplattform stelle ich meine Tasche ab. Alles leer, da war wohl wer hungrig gestern Abend. Mit dem Spachtel räume ich ein paar übrig gebliebene Füße und Flügel weg und streife mir dann einen Einweghandschuh über. So ganz geheuer ist mir das Anfassen der kleinen aufgetauten Körper immer noch nicht. Behutsam verteile ich die Küken auf die beiden Plattformen.

Dann packe ich Spachtel und Tragtasche wieder ein und gehe noch ein Stück ins Gebüsch, um die Reste zu entsorgen.

Als ich mich umdrehe, bemerke ich im Augenwinkel einen Schatten.

Lautlose Flügelschläge, eine kurze Landung auf der Plattform und schon verschwindet die Eule mit einem Küken in den Krallen wieder.

Heute habe ich Glück: sie landet ganz in der Nähe und ich kann beobachten, wie erst der Kopf und dann der Rest des Hühnchens verspeist wird.

Wunderschön ist der Habichtskauz mit seinen dunklen Augen und den schön gemusterten Federn. Noch nicht ganz ausgewachsen und daher wird das Zusatzfutter gerne angenommen. Bald müssen sich die Käuze selbst versorgen und im Wald nach Mäusen Ausschau halten.

Während des Sommers, in denen ich an ein oder zwei Tagen in der Woche gefüttert habe, hatte ich nur ein paar Mal das Glück, diese schönen Eulen beobachten zu können. Meistens kommen sie erst im Schutz der Dunkelheit.

Nachdem sie seit Mitte des 20.Jahrhunderts in Österreichs Wäldern als ausgestorben galten, startete vor gut 10 Jahren das Projekt, um den Habichtskauz wieder im Wienerwald und im Wildnisgebiet Dürrenstein anzusiedeln.

Ich bin stolz, in diesem Sommer einen kleinen Beitrag dazu geleistet zu haben, dass wieder ein paar Habichtskäuze in unseren Wäldern heimisch werden.

(Wien, August 2022)

Wer nun neugierig geworden ist, hier gibt es mehr Infos zum Projekt: https://habichtskauz.at/

Selbstverständlich

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Der warme Sand kitzelt zwischen den Zehen, ich schiebe meine Füße etwas tiefer in die kühleren Sandschichten. Eine Erholung nach den 20 km, die ich heute entlang der wunderschönen Küste erwandert habe. Das kühle Bier steckt in einem kleinen Sandhügel und Tropfen von Kondenswasser suchen sich ihren Weg entlang des braunen Glases. Genüsslich lehne ich mich an den warmen Felsen und genieße die Abendstimmung an der grandiosen Kulisse der Algarve.

Kinder toben, Paare schlendern Händchen-haltend über den Strand, ein paar Jugendliche spielen Ball während sich die Sonne langsam dem Horizont nähert und alles in goldenes Licht taucht.

Von links schiebt sich eine Silhouette in mein Blickfeld, die so gar nicht in diese Landschaft passt. Ich schaue genauer hin. Und wirklich, ein junger Mann schiebt seinen Rollator über den Strand. Völlig entspannt in kurzer Hose, die Schuhe vorne ans Gestänge gebunden, setzt er bedächtig einen Fuß vor den anderen. Bleibt stehen und schaut in die Brandung. Beim Weitergehen malt er spielerisch Muster mit den Rädern in den feuchten Sand. Bewegt sich durch die Brandung, mit sichtlicher Freude an Meer, Strand und Sonne.

Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt mit einem Rollator am Meer entlang zu spazieren.

„Ja, warum ist es eigentlich nicht selbstverständlich?“ denke ich bei mir. Funktioniert ja bestens, soweit ich das erkennen kann. Wahrscheinlich sind das wieder meine Vorurteile, die immer schnell zur Stelle sind, wenn ich etwas sehe, das nicht meinen Erwartungen entspricht. „Geht nicht. Zu unsicher. Unverantwortlich…“ kommt einem da schnell in den Sinn. Aber wenn ich mir den jungen Herrn so ansehe, wie er sein Tun genießt ohne irgendwelche Bedenken, da freue ich mich, dass er es tut – so ganz selbstverständlich.

(Portugal, April 2022)