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Noch ist es dunkel, im Schein meiner Stirnlampe sehe ich nur die sich bewegenden Füße meines Vordermanns. Ich bin nicht die Einzige, die an diesem frühen Morgen (insofern man 2 Uhr nachts schon als Morgen bezeichnen kann) den steilen Weg nach oben wandert: vor und hinter mir bewegt sich der Strom an Touristen, die zum Krater des Ijen Vulkans aufsteigen wollen. Es ist relativ ruhig, um diese Zeit sind wohl die meisten Menschen noch nicht zu Gesprächen aufgelegt. Gelegentlich höre ich ein Keuchen von einem besonders Motiviertem, der uns an uns vorbei hastet – nur um ein paar Hundert Meter weiter nach Luft schnappend am Wegrand zu stehen.

Immer wieder überholen uns auch die Arbeiter mit ihren „Lamborghinis“: kleinen Handwagen, in denen sie müde Touristen gegen Entgelt auf den Berg hinauf ziehen.

Nach gut eineinhalb Stunden zeichnet sich vor uns die Silhouette des Kraterrandes gegen den dunklen Himmel ab. Und bald haben wir es auch geschafft und stehen im kühlen Wind auf gut 2.000 Meter Höhe. Noch ist nicht viel zu sehen, da es noch etwas dauert, bis die Sonne über den Bergkämmen erscheint. Was allerdings gut erkennbar ist, ist die lange Schlange an Lichtern, die in den Krater hineinführt. Obwohl eigentlich verboten, klettern viele Touristen den schmalen, felsigen Weg hinunter in die Schwefeldämpfe, um das „blaue Feuer“ zu sehen: brennender Schwefel, der in der Dunkelheit blau leuchtet.

Wir bleiben oben und wandern den Kraterrand entlang bis zu einer Gruppe von verkrüppelten Bäumen: unsere Fotomotive für den Sonnenaufgang. Stative und Kameras werden ausgepackt und in Position gebracht. Nun heißt es warten auf das erste Licht.

Langsam wird es heller und der azurblaue Kratersee, der Kawah Ijen, taucht vor uns auf. Umgeben von den schroffen Felswänden des Kraters nimmt seine Leuchtkraft mit jedem Sonnenstrahl zu, der sich über die Bergspitzen wagt. Im Hintergrund steigen die dichten, gelblichen Schwaden der Schwefelquellen auf und der Himmel wird nun in ein zartes Rosa getaucht. Fast schon eine mystische Stimmung mit den kahlen Ästen der Bäume im Vordergrund. Ich kann mich gar nicht sattsehen an dieser wunderschönen Kulisse.

Doch die Schönheit täuscht: Der zwischen 30 und 40 Grad warme See hat einen extrem hohen Säuregehalt, ein Bad in ihm wäre wohl absolut tödlich. Und in den Dämpfen der heißen Fumarolen bleibt einem die Luft weg, wenn man den Fehler macht, ihnen ohne Gasmaske zu nahe zu kommen.

Mittlerweile haben wir den Kraterrand fast für uns alleine. Die meisten Besucher sind schon wieder ins Tal abgestiegen und wir können in Ruhe die Morgenstimmung genießen, beobachten, wie die Sonne den See mit Licht überzieht, über dem die wandernden Dämpfe immer wieder neue Muster erzeugen.

Und eines haben wir heute auch noch vor: den Abstieg in den Krater. Nun bei Tageslicht und ohne die Masse an Touristen ist das wesentlich entspannter als in der Dunkelheit. Zur Sicherheit hängen wir uns noch die Gasmasken um, für den Fall, dass der Wind drehen und wir doch in einer Schwefelwolke landen sollten.

Der Ausblick auf die bizarren Felsformationen im Krater ist spektakulär. Immer wieder bleibe ich stehen, um ein Foto zu machen. Und um die Arbeiter vorbeizulassen, die schwer beladen die Schwefelblöcke nach oben tragen. Ihr Stöhnen unter der Last der Körbe auf ihren Schultern tut mir fast schon körperlich weh. Und als mir einer von ihnen ein kleines aus Schwefel geschnitztes Tier verkaufen will, kann ich gar nicht anders, als ihm das Geld dafür in die Hand zu drücken.

Kurz bevor ich den Kraterboden erreicht habe, dreht der Wind und bläst die gelben Wolken in meine Richtung. Das wird mir dann doch etwas zu unheimlich und ich trete den Rückzug nach oben an.

Wir werfen noch einen letzten Blick zurück auf das farbenfrohe Naturschauspiel, bevor es dann wieder den steilen Weg zurück ins Tal geht.

(Indonesien, September 2025)