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Marrakesch, 14.März 2020, 21:30 Uhr. Wir sitzen auf dem Dach unseres Riads, genießen den warmen Abend und feiern meinen Geburtstag. Wir haben schon die eine oder andere Flasche Wein geleert, als mir meine Freundin ihr Handy mit einer SMS zeigt: „Was soll ich davon halten?“
„Flugverbindungen zwischen Österreich-Marokko sowie weiteren Staaten eingestellt. Ihr Außenministerium“, lautet die knappe Mitteilung.
Im ersten Moment weiß ich nicht genau, was ich mit dieser Nachricht anfangen soll. Wir haben schon den ganzen Tag Gerüchte gehört, dass einige Staaten die Grenzen wegen Corona dicht machen. Aber bezüglich Österreich war im World Wide Web – außer von Hamsterkäufen in Supermärkten – nichts zu finden gewesen. Unser Rückflug nach Wien wäre eigentlich für morgen geplant. Nun wohl doch nicht…
Es dauert ein paar Minuten bis die Info in unserer Mädelsrunde ankommt. Dann bricht Hektik aus: daheimgebliebene Ehemänner und Freunde werden aktiviert, um weitere Infos zu bekommen. Wir versuchen, bei der angegebenen Nummer des Außenministeriums anzurufen. Nach einigen Versuchen haben wir dann auch eine nette Dame in der Leitung, die uns rät, morgen trotzdem zum Flughafen zu fahren. „Keine Angst, wir holen Sie schon wieder nach Hause. Wenn nicht morgen, dann spätestens in ein paar Tagen“, versichert sie uns noch.
Viel mehr können wir heute wohl auch nicht mehr tun. Der Wein ist noch nicht ausgetrunken, die Nacht immer noch angenehm warm und die Sterne funkeln ungerührt am Nachthimmel über der großen Stadt. „Man wird nur einmal 55“, denke ich bei mir und hebe mein Glas, um den anderen zuzuprosten.
Am nächsten Morgen stehen wir am Platz der Gehängten und warten auf unser Taxi zum Flughafen. Viel merkt man nicht von der Panik, die das Virus gerade rund um den Globus auslöst. Vielleicht sind heute ein paar Touristen weniger als sonst auf dem berühmten Platz unterwegs.
Ganz anders am Flughafen, wo sich lange Schlangen vor den Abfertigungsschaltern gebildet haben. Der AUA-Schalter ist ebenfalls belagert. Noch ist unklar, ob wir überhaupt in der richtigen Schlange stehen. Aber aus Wien haben wir die Info bekommen, dass unser Flieger von dort Richtung Marrakesch gestartet ist. Das gibt Anlass zur Hoffnung.
Nach gut zwei Stunden bangen Wartens haben wir unsere Boarding Pässe in der Hand, marschieren erleichtert Richtung Gate. Vorbei an Menschentrauben, die sich vor Flugschaltern drängen und teilweise lautstark diskutieren.

Nach dem Trubel beim Einchecken erscheint die Abflughalle fast gespenstisch menschenleer. Wir können pünktlich boarden und sitzen schließlich in einem vollbepackten Flieger, in dem sogar die Notsitze des Flugpersonals mit Passagieren besetzt sind. Zwei junge Mädchen, die vor uns in der Schlange am Schalter standen, haben vor Erleichterung Tränen in den Augen, dass sie noch einen Platz ergattert haben. Auch wenn das heißt, dass sie fast den ganzen Flug stehen müssen.
Eine Stewardess erzählt uns, dass sich der Flugkapitän dafür stark gemacht hat, dass dieser Flug noch durchgeführt wird, um möglichst viele Österreicher zurück zu holen. Und dass sie auch nicht wissen, wie es nun weitergeht…
Ankunft in Wien, erleichterte bessere Hälften, die ihre Damen in Empfang nehmen. Ein bisschen verloren stehe ich vor der Gruppe, kämpfe gegen die aufsteigenden Tränen an, erlaube mir noch eine Umarmung zum Abschied – nicht wissend, wie lange der nun ausgerufene Lockdown dauern wird und wann ich wohl wieder einem anderen Menschen so nahe kommen werde.
(Marokko, März 2020)