Schlagwörter
Als Wadi bezeichnet man gemeinhin ein ausgetrocknetes Flussbett. Heute haben wir allerdings vor, ein Wadi schwimmend zu durchqueren. Ausgerüstet mit wasserdichten Packsäcken und Badesachen starten wir in Bidah, einer kleinen Ortschaft, die am größten Flusssystem des Oman liegt. Das erste Stück balancieren wir entlang der Oase auf den Mauern eines Faladsch, wie die Bewässerungskanäle hier genannt werden. Dann geht es zwischen riesigen Felsbrocken abwärts.
Das Wadi Bani Khalid gehört zu den bekanntesten Wadis im Oman und die türkisen Pools sind ein beliebte Touristenattraktion. Wir sind aber etwas weiter südlich unterwegs und somit heute auch die Einzigen in dieser beeindruckenden Felsenlandschaft.
Wir klettern über große, vom Wasser rund geschliffene Steine, schlängeln uns zwischen ihnen hindurch oder ducken uns durch einen Spalt, der von zwei mächtigen Steinen geformt wird. Die glatte und steile Oberfläche beschert mir gleich zu Anfang schon ein blutiges Knie.
Dann kommt die erste Schwimmpassage: wir stehen an einem tiefgrünen Pool, der vor uns inmitten riesiger Felswände verschwindet. Also alles, was nicht nass werden soll, im wasserdichten Packsack verstauen (und hoffen, dass er auch wirklich dicht ist). Einer nach dem anderen lassen wir uns in das Wasser gleiten, das im Vergleich zur heißen Luft angenehm kühl ist. Ich spüre keinen Grund unter mir und fühle mich etwas komisch, wie ich den anderen folge. Jeder zieht als Boje seinen bunten Beutel hinter sich her, der sich tapfer auf der Wasseroberfläche hält. Links und rechts ragen die Felsen steil nach oben, vor und hinter mir ist Wasser. Meine Arme schimmern leicht grünlich im glasklaren Nass, die Sandalen an meinen Füßen scheinen über einer unendlichen Tiefe zu schweben. Ich spüre keine Strömung. Man hört nur die kleinen Wellen der Schwimmzüge. Und unsere Stimmen hallen von den Wänden wider wie in einer riesigen Kirche.
Dann haben wir die nächsten Felsen erreicht und kraxeln wieder ans Ufer. Der Wind, der durch das Tal weht, fühlt sich nun doch etwas kühl an. Aber schon geht es weiter, das Tal hinab. Kletterpartien wechseln sich mit kleineren Schwimmstrecken ab. Dazwischen marschieren wir unter steilen Überhängen. Wie kleine Ameisen in dieser gewaltigen Felslandschaft, die wirkt als hätten ein paar Riesen ihre Murmeln im Flussbett vergessen.
Vor der letzten, größeren Schwimmstrecke rutsche ich noch mal aus und dieses Mal bekommt mein Schienbein eine lange, blutige Schramme ab. Als ich wieder im blaugrünen Wasser bin, hinterlässt mein Bein kleine rosa Streifen. Die schroffen Felsen rücken wieder näher und ich spüre ein Gefühl der Verlorenheit, des Ausgeliefert-Seins. Meine Mitwanderer sind schon ein gutes Stück vor mir. Ich bewege mich mit gleichmäßigen Schwimmzügen durch das kühle Nass. Drehe mich kurz auf den Rücken und sehe über mir den blauen Himmel, eingerahmt von hellbraunem Gestein. Gespenstische Ruhe. Hier scheint es weder Fische noch Vögel zu geben. Wasser und Sonne sind hier zuhause und führen ein strenges Regime, formen diese bizarre Landschaft.
Noch ein paar Schwimmstöße und ich stehe auf einem Felsplateau, das sich nach Regenfällen im Hajar-Gebirge sicher in einen reißenden Wasserfall verwandelt. Heute gibt es nur eine schmale, mit Wasser gefüllte Rinne im Felsen, die sich zum Gaudi einiger als Wasserrutsche nützen lässt.
Nach einer kurzen Rast erreichen wir die Palmen der nächsten Oase und lassen die wilde Schlucht hinter uns. Knappe 10 Kilometer sind wir das Flussbett entlang gewandert, geklettert und geschwommen. Haben eine Ahnung von der Macht der Naturgewalten bekommen und wie klein man sich daneben fühlt.
Und die lange Narbe auf meinem Schienbein erinnert mich immer wieder mal an diese außergewöhnliche Landschaft und das Gefühl im leuchtend grünen Wasser zu schweben.
(Oman, März 2020)