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Es ist schon dunkel, ich kann die ersten Sterne am klaren Nachthimmel erkennen und mein Atem hinterlässt kleine Wölkchen in der kühlen Bergluft. Vor mir sehe ich die beiden Hütten, in denen gekocht wird. Grobe Steinmauern mit einem spitzen Dach aus Brettern, notdürftig gedeckt mit dünnen Zweigen und Ästen. Stimmen dringen zu mir herüber. Hinter mir erheben sich die Mauern des Andringitra Massivs und die wenigen erleuchtete Zelte im Vordergrund kauern sich winzig in den Schatten der Steilwände.
Die kleine Hütte ist erfüllt vom Rauch und der Wärme des offenen Feuers in der Mitte. Aus der langen Reihe von großen Aluminium-Kochtöpfen über den Flammen duftet es schon verführerisch und mein Magen meldet sich nun doch nach der Wanderung heute. Der Rest der Wandergruppe ist an der linken Wand aufgereiht, die meisten mit einer wärmenden Tasse Tee in der Hand. Auf der gegenüberliegenden Seite sitzen unsere Träger in drei Reihen übereinander Seite an Seite. Alle vom Volk der Betsileo, das die Hochebene besiedelt und dem kargen Boden auf Reis-Terrassen das Nötige zum Leben entlockt. Ein paar haben sich gegen die Kälte in farbenfrohe Lambas, die traditionellen madagassischen Schals, gehüllt. Ich quetschte mich noch auf die schmale Bank zu den restlichen Gruppenmitgliedern.
Dann fängt die Gruppe der Träger vor uns plötzlich an zu singen. Mein anfänglicher Unmut darüber, dass es nun schon wieder eine Folklore- Vorführung gibt, ist schnell vergessen, als mich der mehrstimmige a cappella Gesang gefangen nimmt. Die zwölf jungen Männer vor mir sind mit einer Begeisterung bei der Sache, dass es richtig Spaß macht, ihnen zuzusehen. Anscheinend sind sie auch der Kirchenchor ihres Dorfes, wie unser Guide später erklärt. In der vordersten Reihe ist ein Sänger in einen rotgelben Schal gehüllt und singt mit geschlossenen Augen mit hohen Kopfstimme, sein Nachbar hält sich an seiner Schulter fest, wiegt sich mit ihm im Takt der Musik. Ab und zu hält er sich die hohle Faust wie ein Mikrofon vor der Mund. In der Reihe darüber sitzt ein junger Mann mit dicker Wollmütze und strahlt über das ganze Gesicht, während seine tiefe Stimme den Gesang begleitet. Die zwei daneben haben sich an den Armen unterhakt, die Schirmkappen keck am Kopf und eingepackt in ihre Jacken gegen die Kälte. Angespornt von unserem Applaus geben sie immer noch ein Lied zum Besten, bis ihnen am Schluss dann wohl das Repertoire ausgeht und sie wieder von vorne anfangen.
Die sich im flackernden Schein des Feuers bewegenden Körper vor mir und der melodische Gesang, der sich auch immer wieder zu einem Kanon verändert, ich bin in einer Art Traumzustand und wenn ich die Augen schließe, fühle ich mich fast in eine andere Zeit zurückversetzt. Schade, dass ich die Texte nicht verstehe, die vom Leben auf dem Land und natürlich auch unglücklicher Liebe handeln. Als es dann schließlich doch Essen gibt, brauche ich ein paar Minuten, um wieder ins Jetzt zurück zu kehren.
Als ich zwei Stunden später unter einem blassen Vollmond, gewärmt vom guten Essen und Rum, den Weg zu meinem Zelt zurück suche, habe ich immer noch die Melodien des Chors aus einfachen Bauern im Kopf. So unerwartet lebensfroh und gleichzeitig ernsthaft in dieser kargen Berglandschaft.
(Madagaskar, August 2017)