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Ich sitze auf den Steinstufen des kleinen Platzes und umklammere fast schon etwas krampfhaft meinen Pappbecher mit Kaffee. Es ist Sonntagnachmittag in der Avenida Central, der großen Fußgängerzone mitten in San Jose. Um mich herum brodelt das Leben. Obwohl nicht alle Läden geöffnet haben, ist die Kakophonie aus unterschiedlichen Musikstücken, die aus jedem noch so kleinen Geschäft tönen, fast ohrenbetäubend. Es scheint so, als ob der mit den größten Lautsprechern und der lautesten Musik das beste Geschäft macht. Warum man dazu noch zusätzliche Ausrufer mit Mikrofon braucht, um die vielfältigen Waren anzupreisen, ist mir ein Rätsel.
Ich bin eingeschüchtert vom unbändigen Treiben, das in dieser Straße herrscht. Überall Menschen, die die Straße entlang flanieren oder jeden verfügbaren Platz in den kleinen Parks besetzen. Und Sitzgelegenheiten gibt es wahrlich genug. Die restlichen freien Flächen sind von Tauben besetzt, die sich von der milden Nachmittagssonne wärmen lassen. Ein Schwarm kleiner grüner Papageien fliegt mit lautem Gezeter über den Platz und lässt sich in den Ästen eines mächtigen Baumes nieder.
Vor mir dreht ein Prediger mit Mikrofon hinter den Ohren seine Runden und verkündet wohl irgendeine frohe Botschaft. Mein Spanisch reicht nicht, um ihn zu verstehen, aber es scheint eine bedeutsame Sache zu sein. Keiner der Umstehenden oder Sitzenden schenkt ihm Beachtung, was aber seinem Elan keinen Abbruch tut. Aus der Kathedrale, die den Platz überragt, klingen – fast als Antwort – die Gesänge einer Messe.
Ich schlendere ein Stück der Straße entlang, in deren Mitte noch mehr Straßenhändler ihre Waren fein säuberlich ausgebreitet haben: Sonnenbrillen, Schuhbänder, Kalenderblätter (pro Monat einzeln zu erwerben), Mützen, Aufziehhunde, Taschen, Socken, einzelne Zigaretten, Lutscher, Lose, Pfefferminzbonbons, DVDs,… Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Und jeder verkündet in einer Art monotonem Singsang, was er er zu bieten hat.
Fast an jeder Straßenkreuzung stehen Polizisten – was aber keinen der Fußgänger daran hindert, die Ampeln bei Rot zu überqueren. Dazwischen auch Polizei auf Fahrrädern. Nachdem in den Reiseführern vor allen möglichen Gefahren in Costa Ricas Hauptstadt gewarnt wird, muss ich gestehen, dass ich mich durch die Polizeipräsenz etwas sicherer fühle.
Ein Stück weiter vor dem imposanten Gebäude der Nationalbank diskutiert – sehr zur Unterhaltung der Umstehenden – ein älterer Herr im schon etwas abgetragenen Anzug mit einer fülligen Dame im weißen Minirock. Auch hier kann ich das Thema nicht ausmachen, aber die beiden nehmen es auf jeden Fall sehr ernst und die temperamentvolle Sprache spiegelt sich in ihrer Gestik.
Im nächsten Park hat ein weiterer Prediger noch Verstärkung von ein paar Musikern. Ihm scheinen sogar ein paar Leute Gehör zu schenken, ein Passant wiegt sich verträumt im Takt der Musik.
Es dämmert langsam und ich lasse mich auf einer Bank gegenüber der nächsten Kirche nieder und beobachte, wie ein Regenbogen hinter dem Glockenturm am Abendhimmel erscheint. Langsam wird es etwas ruhiger. Zwei Polizisten führen sanft einen Betrunkenen, der neben dem imposanten Kirchentor lag, hinüber zum Park und setzen ihn fast schon liebevoll auf eine der Bänke.
(Costa Rica, Januar 2018)