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Mein Porter lässt meine Hand gar nicht mehr los. Seit gut einer Stunde kämpfen wir uns in 2500 Meter Höhe händchenhaltend durch den dichten Dschungel. Ursprünglich angeheuert, um meinen Rucksack zu tragen – was nicht wirklich nötig ist, da eh nur mit meinem Vorrat an Wasser und Müsliriegeln gepackt, sondern eher als Unterstützung für die lokale Community und indirekt so auch für die Gorillas – erweist sich nun die helfende Hand auf dem steilen Hang als willkommene Unterstützung. Meine Versuche, mich auf den kurzen, geraden Stücken durch ein „I am ok.“ von der fürsorglichen Führung zu befreien, sind nur von kurzem Erfolg gekrönt. Mein Begleiter sieht es als seine persönliche Mission, mich wohlbehalten zu den Berggorillas zu bringen.
Apropos Gorillas: vor uns hören wir lautes Rufen. Anscheinend sind wir nun auf die Tracker getroffen, die unsere Gorilla Familie jeden Tag begleiten und den Guide auf die richtige Spur führen. Drei Männer in Tarnkleidung tauchen vor uns aus dem dichten Gestrüpp auf. Sie deuten auf den gegenüberliegenden Hang, wo sich die Äste einiger Bäume schwungvoll bewegen. Nun kann es nicht mehr weit sein.
Nach 15 Minuten müssen unsere Porter und Rucksäcke zurück bleiben, nur wir und unsere Kameras dürfen dem Guide weiter folgen. Auch die Wanderstöcke müssen an die Porter abgegeben werden, weil sie bedrohlich wirken könnten. Und dann taucht kurz darauf plötzlich ein breiter, behaarter Rücken vor uns auf einer Lichtung auf. Ich halte die Luft an vor lauter Aufregung, es sind keine fünf Meter mehr bis zu dem Silberrücken. (Hatte der Guide nicht von 7 Metern Minimalabstand gesprochen?).
Unser Guide winkt uns näher und deutet uns, den mächtigen Rücken zu umrunden. Vorsichtig folge ich meinen Vordermännern bis ich schließlich dem Gorilla gegenüberstehe. Der scheint von unserem Besuch gänzlich unbeeindruckt, reißt gemächlich Gräser und Blätter ab und lässt sie sich schmecken – während unsere Fotoapparate klicken. Lucky heißt er und ist der Chef der Hirwa Familie.
Aus dem Gebüsch kommt nun eine Dame stolziert und Lucky ergreift die Gelegenheit, um uns in den Genuss einer kleinen Darbietung seiner Manneskraft kommen zu lassen. „Jiggi, Jiggi“, wie es die Einheimischen nennen. Kaum einen Meter neben mir. Ich bin so überrascht, dass ich ganz vergesse, Fotos zu machen.
Anschließend setzt er sich gemütlich in die Sonne, döst ein bisschen oder schaut versonnen in die Ferne. Eigenartig, in das Gesicht eines so nahen Verwandten zu blicken. Ob er sich wohl auch überlegt, was wir gerade denken?
Die beiden Zwillinge der Familie, ein knappes Jahr alt, tauchen auf und klettern spielend die dünnen Bambusstämme hoch. Unser Guide deutet uns, weiter in seine Richtung zu kommen, damit wir nicht zwischen Lucky und seinem Nachwuchs stehen. Das könnte er als Bedrohung auffassen. Als ich an dem Bambus vorbei gehe, kann ich mit dem Kopf gerade noch der Hand einem der Zwillinge ausweichen, der schon übermütig ausgeholt hat.
Mir stockt der Atem als sich der Silberrücken erhebt und in unsere Richtung kommt. Er berührt fast einen aus unserer Gruppe während er an ihm vorbei marschiert und sich weiter unten bei einem Baum niederlässt. Den Rücken uns zugewandt, als wollte er uns zu verstehen geben, dass er nun genug von dem menschlichen Besuch hat.
Ganz anders sein Nachwuchs: mittlerweile tollen vier flauschige Bündel zu unseren Füßen herum, räkeln sich in der Sonne, balgen als Knäuel von schwarzen Füßen und Händen durch das hohe Gras. Etwas weiter hinten ist das ernste Gesicht der Mama durch die Zweige zu sehen. Sie kaut zwar gemächlich die grünen Blätter, lässt uns aber nicht aus den Augen.
Nach einem Blick auf sein Handy meint der Guide, dass unsere Stunde nun um ist. Wir müssen die Familie wieder alleine lassen. Die Zeit ist zu schnell vergangen. Während mich mein Porter wieder den steilen und rutschigen Hang durchs Gestrüpp hochzieht, habe ich immer noch das nachdenkliche Gesicht von dem Silberrücken vor Augen, das so viele menschliche Züge hatte.
(Ruanda, Dezember 2016)