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Vor uns erstreckt sich ein weites Tal hinter dem die nächsten eigenartig geformten Granitfelsen aufragen. Vereinzelte Häuser sind als kleine Punkte erkennbar, dazwischen schlängelt sich der Fluss durch die rote Landschaft. Beim Abstieg aus dem Andringitra-Massiv hat sich unsere Gruppe nach einigen Stunden Wanderung aufgesplittet. Irgendwo weit vor uns, nicht mehr sichtbar, sind die ersten unterwegs, hinter uns die letzten, ebenfalls mit einem Guide. Der hat uns während der Rast noch mit auf den Weg gegeben, bei der nächsten Gabelung die rechte Abzweigung zu nehmen („avanana“ und nicht „avia“).

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Wir sind zu zweit und bleiben immer wieder stehen, um das grandiose Panorama zu fotografieren – nur so entdecken wir zufällig den schmalen Pfad, der rechts abgeht. Sonst hätten wir ihn wohl übersehen. Nach der Umrundung eines riesigen Felsens kommen wir an den Fluss, der über breite Granitplatten träge dahin fließt. Nachdem wir vorsichtig über die glatten Steine auf die andere Seite balanciert sind, holen uns die Rufe von ein paar Einheimischen zurück, als wir geradeaus weiter marschieren wollen. Sie deuten uns, dass der Weg dem Flussufer folgt. Unter den wachsamen Augen der jungen Männer bahnen wir uns den Weg über die holprigen Schollen eines Reisfeldes.

Es geht weiter bergab, rechts tauchen rote Mauern einiger verfallener Häuser auf, zwischen denen malerisch die hohen Stämme der Agavenblüten aufragen. Ein paar sehnige Hühner samt Hahn scharen dazwischen in der staubigen Erde.

Der Weg führt direkt auf ein Dorf zu und wir hören schon von weitem das Rufen der Kinder, die von allen Seiten angelaufen kommen. Bei den ersten Häusern sind wir von gut 30 lärmenden Mädchen und Buben umringt, die alle versuchen, uns anzufassen, an den Armen festzuhalten oder uns die Hand für ein Geschenk entgegenstrecken. So ganz geheuer ist das nicht und wir beschleunigen unseren Gang. Als die dritte Hand an meine Kehrseite greift, drehe ich mich mit einem lautem „Hey!“ um. Das sorgt kurz für Ruhe, aber gleich darauf rücken mir die Kinder wieder auf die Pelle und äffen nun auch noch mein „Hey!“ nach. Erst als eine ältere Frau aus dem Dorf auf Madagassisch wohl ein Machtwort spricht, halten sie etwas Abstand.

Als wir endlich die Häuser und die letzten Kinder hinter uns lassen, atmen wir erst einmal erleichtert tief durch. Weder vor noch hinter uns ist jemand aus unserer Gruppe zu sehen. Vor uns erstreckt sich die weite Ebene mit Feldern, die von vielen kleinen Wegen durchzogen scheint. Wir sind etwas planlos, wie wir nun zu dem Camp kommen, in dem heute übernachtet wird. Mein Begleiter erinnert sich, dass es am Fuße des Chamäleonberges liegen soll. Doch wo ist der?

Ein junges Mädchen mit einem Wassereimer auf dem Kopf kommt vorbei. Ich probiere auf Französisch, ob sie weiß, wo das Camp Katta zu finden ist. Die Antwort ist nur ein schüchternes Lächeln. Also folgen wir erst mal dem Weg, der uns wieder zum Flussufer führt. Bei den beiden Männern, die dort arbeiten, haben wir etwas mehr Glück. Sie weisen nach rechts und zeigen uns auch den Weg durch den Fluss. In der Ferne taucht nun ein einzelner Felsen auf, dessen Spitze die Form eines Chamäleons hat. Das muss wohl der Berg sein, an dessen Fuß das Camp liegt. Allerdings lässt sich nicht wirklich erkennen, welche der entfernten Häuseransammlungen die richtige ist. Ein junges Paar mit Kind deutet geradeaus auf ein paar helle Häuser am Horizont und amüsiert sich wohl königlich über die beiden Vazars, die durch die Felder irren.

Mittlerweile sind wir schon gute sechs Stunden unterwegs, fast 1000 Höhenmeter abgestiegen und nicht gerade glücklich mit der ungewissen Situation. Wir beschließen, uns den Weg bis zur Hauptstraße zu suchen, da die wohl unweigerlich am Camp vorbeiführen muss (immerhin der einzige Weg, der breit genug für ein Auto ist). Die „Hauptstraße“ entpuppt sich als staubige Piste, auf der gerade eine Herde von Zebus unterwegs ist. Natürlich gibt es weit und breit keine Wegweiser oder Straßenschilder. Also wieder nach rechts Richtung Chamäleon.

Bei der ersten Abzweigung zu einer Häuseransammlung werden wir wieder zurück geschickt: zwar gibt es dort ein Camp, aber nicht das richtige. Der Weg gabelt sich erneut und ich will schon den lächelnden Herrn, der neben uns auftaucht, mit einem „Salama“ begrüßen, als ich einen der Guides erkenne, der uns hier wohl abfangen will. Den Rest der Gruppe, der weit hinter uns war, hat er am Wegrand „geparkt“. Anscheinend hatte er uns die ganze Zeit im Blick – obwohl wir einen beträchtlichen Umweg gemacht haben.

P1110466Vorbei an einem Fußballfeld, auf dem das abendliche Match stattfindet, geht der restliche Weg schnurgerade weiter und wir sind fast etwas enttäuscht, dass wir das letzte Stück nicht auch in Eigenregie zurücklegen dürfen. Unter dem gleichgültigen Blick des steinernen Chamäleons erreichen wir bald darauf das Camp. Immerhin gibt es zur Begrüßung ein paar Kattas und als Entschädigung ein kühles Bier.

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(Madagaskar, August 2017)