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Es ist der letzte Abend unserer Reise durch die große Insel. Wir ziehen Bilanz, lassen die Erlebnisse noch mal Revue passieren. Es kommt die Frage, was denn unser schönstes Erlebnis in den letzten zweieinhalb Wochen gewesen sei. Einer der Mitreisenden meint, dass er das gar nicht so sagen könnte, da waren so viele neue Eindrücke und Erfahrungen. Aber was ihm wohl immer in Erinnerung bleiben wird und auch unerwartet war, ist der Geruch nach Staub und brennendem Feuer. Der sei allgegenwärtig gewesen.
Nachdenklich über diese Äußerung, klinke ich mich aus der restlichen Unterhaltung aus. Er hat recht, denke ich mir. Der Geruch nach Rauch hat uns immer begleitet. Bei der Fahrt durch die kleinen Dörfer qualmte es aus den kleinen Öfchen der Marktstände, beim Mittagessen in einfachen Hotelys gab es irgendwo im Hintergrund eine Küche, wo über offenen Flammen gekocht wurde. Die Fensteröffnungen der schmalen, roten Hütten waren oft schwarz vom Ruß der zahllosen Feuer im Inneren. Kleine Kochhütten, so eng und schmal, dass ich als Europäer nur unter großen Verrenkungen reinpassen würde, in der Mitte eine Feuerstelle, die Wände dunkel von den Flammen. Die rauchenden Meiler am Wegrand, in denen Holzkohle aus dem raren Holz auf der Insel hergestellt wird. Säcke, mit dem schwarzen Brennstoff, die entlang der Straße angeboten werden. Selbst in der Hauptstadt wurde immer irgendwo etwas gekocht, zogen immer von irgendwoher Rauchschwaden durch die Luft.
Kahle, rote Hügel, die sich auf der Suche nach Feuerholz immer weiter ausbreiten. Und mit ihnen der feine, rote Staub, der die Straßen bedeckt und uns einhüllt, wenn ein Auto vorbeifährt. Mir fallen die großen, endlosen Ebenen im Südwesten der Insel ein, kein Baum, nur trockene Gräser und ab und zu ein einsamer Baobab oder ein wehrhaftes Dornengewächs. Dazwischen die Dörfer mit kleinen, armseligen Lehmhütten, kaum mannshoch. Staubige Kinder, die einem die Hände entgegenstrecken und ein Stück unserem Bus hinterherlaufen, wenn er langsam durch die Siedlung fährt. Kein Wasser weit und breit. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man hier leben und überleben kann.
Und wenn es einen Fluss gibt, dann ist er bevölkert von Groß und Klein. Autos und Wäsche werden im trüben Nass gewaschen, halbnackte Menschen baden darin, in großen Wannen wird unermüdlich Geröll auf der Suche nach Saphiren gesiebt. Kinder plantschen unbekümmert im seichten Wasser und spielen Fangen. Ein malerisches und buntes Bild, das einen nur allzu leicht darüber hinwegtäuschen kann, dass das kein Vergnügen ist und die Menschen bitterarm sind.
Auch das ist Reisen: man erkennt, wie unscheinbar die eigenen, kleinen Probleme und Sorgen sind, wenn man den fremden, nicht immer erfreulichen Bildern erlaubt, etwas tiefer zu gehen, einen zu berühren, aus der eigenen Trägheit und Bequemlichkeit zu wecken. Zu erkennen, wie unfassbar privilegiert man ist, weil man wieder ins Flugzeug steigen und all das hinter sich lassen kann.
Manchmal wird man dadurch vielleicht auch ein kleines Bisschen ein besserer Mensch, der das nächste Mal nicht über den unfreundlichen Kollegen schimpft, sondern ihm einfach ein Lächeln schenkt. Oder es wird, noch ganz tief hinten im Unterbewusstsein, der Keim dafür eingepflanzt, dass man vielleicht doch aktiv etwas dazu beitragen will, dass sich solche Dinge ändern.
(Madagaskar, August 2017)