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Das gelbe Schlauchboot gleitet über das türkise Wasser. Vor uns glitzern die Schaumkronen auf dem Riff, auf das wir zusteuern. Das dumpfe Grollen der brechenden Wellen hat mich gestern in den Schlaf begleitet. Es ist noch früher Vormittag, fast kein Wind und unser Steuermann manövriert das Boot geschickt zwischen den Brandungswellen des Riffs durch. Das Wasser hat nun ein dunkles Blau und ich halte mich fester am Rand des Bootes fest, als die höheren Wellen gegen den Bug schlagen. Natalie, die Chefin unseres Hotels, erklärt uns gerade, auf was wir achten sollen: sämtliche Bewegungen und Geräusche, die uns auffallen. Vor allem aber auf Wasserfontänen am Horizont.

Gespannt suchen meine fünf Mitfahrer und ich die Wasseroberfläche um uns herum ab, während das kleine Boot sich weiter durch die Wellen kämpft. Daniela deutet auf einen Punkt vor uns. Wir verlangsamen die Fahrt und schauen nun alle in diese Richtung. Doch es scheint falscher Alarm gewesen zu sein. Nichts rührt sich. Dann zeigt Natalie nach rechts – und tatsächlich ist in der Ferne kurz eine kleine Wasserfontäne zu sehen. Unser Fahrer beschleunigt wieder und hält darauf zu. Dann drosselt er die Fahrt und ich kann nun sogar das Geräusch beim Ausblasen der Luft hören. Ich kann spüren, wie auch die anderen unruhig werden. „Ein Baby!“ flüstert Natalie. Und wirklich, eine kleine, graue Flosse teilt kurz die Wasseroberfläche und ist dann auch schon wieder verschwunden. Ich merke, wie ich die Luft anhalte, als das nächste Mal die Wasserfontäne zu sehen ist und gleich darauf der große, dunkle Rücken der Mutter wie in Zeitlupe zwischen den Wellen erscheint und dann wieder weg ist. Tatsächlich, ein Buckelwal mit Nachwuchs. Immer wieder ist die Rückenflosse des Babys an der Oberfläche zu sehen. Das Kleine soll lernen, selber Luft zu holen, erklärt uns Natalie. Schweigend genießen wir das friedliche Schauspiel.

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Als dann noch ein zweites, größeres Boot kommt, wird es der Wal-Mama wohl doch zu viel und sie zieht von dannen. Wir drehen noch ein paar Runden, doch mehr als ab und zu eine entfernte Wasserfontäne ist nicht zu erblicken. Schließlich fragt uns Natalie, ob wir wieder zurückfahren sollen oder noch weitersuchen wollen. „Weiter!“ ist die einstimmige Antwort.

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Kurz darauf wird unsere Geduld belohnt, als wir vor uns wieder zwei Rückenflossen auftauchen: eine große, dunkle und eine kleine, graue. Wieder eine Mutter mit ihrem Nachwuchs. Dieses Mal sind wir nur noch wenige Meter von den beiden entfernt. Mit abgestellten Motor schaukelt unser Boot in den Wellen, während der sanfte Riese vor uns wohl neugierig geworden ist und wir kurz den langen Kopf erkennen können, der sich aus dem Wasser hebt. Dann stockt mir der Atem als ich direkt vor uns den riesigen Körper unter der Wasseroberfläche erkennen kann: der Kopf alleine hat schon die Länge unseres Bootes. Deutlich sind die weißen Seepocken auf der dunklen Haut zu sehen und die lange Bauchflosse schimmert durch das klare Wasser. Plötzlich komme ich mir sehr klein vor. Eine unwillige Bewegung und unser Boot würde ohne Passagiere im Wasser treiben. Doch das Wesen vor uns hat nichts dergleichen im Sinn, sondern gleitet sanft an uns vorbei, um dann wieder im dunklen Blau zu verschwinden.

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Wir schauen uns alle ergriffen an, einige haben ein Lächeln im Gesicht. Selbst Natalie ist kurz sprachlos. Dann bedankt sie sich beim Wal, dass er uns diesen beeindruckenden Moment beschert hat.

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(Madagaskar, August 2017)