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Ich bleibe stehen, weil mich irgendwas an meinem Schienbein zwickt. Ziehe das Hosenbein hoch und entdecke im Schein der Stirnlampe einen Blutegel, der wohl gerade zu einem frühen Snack ansetzen will. Gerade noch erwischt. Mit etwas Zug lässt sich der schwarze Wurm noch von meiner Haut lösen.

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Der Schweiß hat mittlerweile Unterhemd und T-Shirt durchnässt und ich bin immer wieder erstaunt, wie viel Flüssigkeit man in so kurzer Zeit produzieren kann. Ich schalte meine Lampe aus und lasse die Umgebung auf mich wirken. Rundherum Dunkelheit, am Himmel ein paar Sterne und der schwache Schein des Mondes. Von den dicken Regenwolken vom Vorabend, hinter denen sich unser heutiges Ziel versteckte, ist nichts mehr zu sehen. Kurz nach 2 Uhr nachts sind wir zum heiligsten Berg der Singhalesen aufgebrochen: dem Sri Padaya. Oder auch Adam’s Peak, wie er von den Portugiesen getauft wurde.

Mittlerweile hat sich die Gruppe zerstreut, jeder kämpft alleine mit sich und den über 5.000 Stufen, die zum Gipfel führen. Still ist es, nur mein Atem ist zu hören. Ein paar Bäume und Büsche lassen sich schemenhaft in der Dunkelheit erahnen. Ab und zu leuchten die hellen Punkte von Stirnlampen über mir.

Vielleicht ist es ganz gut, dass man nicht sieht, wie viele der unregelmäßigen, steilen Stufen noch zu erklimmen sind.

Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren, konzentriere mich darauf, den Fuss auf die nächste Stufe zu setzen. Ein junges Pärchen zieht mit schnellem Schritt zum dritten Mal an mir vorbei – nur um 10 Minuten später wieder schwer atmend am Rand zu stehen und von mir überholt zu werden. Langsam wird die Luft kühler und die Treppe windet sich in immer schmäleren Kurven den Berg hinauf. Ich muss Ästen ausweichen, die tief über dem Weg hängen. Nicht auszudenken, was sich hier abspielt, wenn in zwei Wochen mit Beginn der Pilgerzeit zum Vollmond mehrere Tausend Menschen gleichzeitig hier hoch wollen.

Der Geruch von frischem Brot weht mir entgegen. Und tatsächlich hat eine der kleinen Hütten entlang des Weges schon geöffnet und lockt mit heißem Tee und Roti, köstlichem Fladenbrot. Kurz bleibe ich stehen, erfreue mich am Lichtschein und der Wärme, den die Bretterbude ausstrahlt. Dann widerstehe ich der Versuchung und steige langsam hinauf über die Stufen. Weit kann es nun nicht mehr sein.

Und wirklich, nach gut 15 Minuten stehe ich vor einer Mauer mit ein paar Stufen, auf denen schon ein paar müde Touristen sitzen. Es ist kurz nach 5 Uhr, noch keine Sonne zu erblicken und es bläst ein unfreundlicher Wind hier oben auf über 2.000 Metern. Hinter der Mauer liegt der kleine Tempel, der angeblich einen Fußabdruck Buddhas beherbergt. Das Ziel der Gläubigen, die alljährlich von Dezember bis Mai die Strapazen der 5.000 Stufen auf sich nehmen.

Doch heute ist das Tor zu, und die Aussicht auf die umliegenden Hügel wird durch ein hässliches Betongebäude verstellt. Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt. Immerhin gibt es zum Aufwärmen einen Schluck Rum aus der mitgebrachten Plastikflasche.

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Als sich am Horizont die ersten orangen Streifen zwischen den Wolken zeigen, steigen wir wieder ein Stück über die Treppen hinab. Und nun offenbart sich die umliegende Landschaft vor uns in den Strahlen der aufgehenden Sonne. Kleine und größere grüne Hügel strecken ihre Spitzen aus den Nebelschwaden im Tal. Ein See glitzert in der Ferne und der Wasserfall auf der gegenüberliegenden Felswand wird langsam in frisches Sonnenlicht getaucht. Die Stufen, malerisch eingerahmt vom roten Geländer, tauchen aus der Dämmerung auf, nur um weiter unten wieder im Nebel zu verschwinden.

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Der Abstieg fordert weniger Atem, dafür aber umso mehr Beinmuskulatur, die sich in den nächsten Tagen beleidigt zeigen wird. Ein Schmuckbülbül macht seinem Namen alle Ehre und stellt sein gelbes Gefieder in der noch tief stehenden Sonne zur Schau. Nach drei Stunden abwärts über die Steinstufen gehen wir mit weichen Knien und brennenden Oberschenkeln das letzte Stück durch die noch geschlossenen und leeren Verkaufsstände. In ein paar Wochen werden hier wieder Opfergaben und Verpflegung für die zahlreichen Pilger angeboten. Die Sonne schickt wieder unbarmherzig ihre Strahlen zu uns. Ein paar Affen brettern geräuschvoll über die Blechdächer der Buden.

Als ich noch mal zurückschaue, erblicke ich nun endlich auch den markanten Berg mit dem kleinen Tempel auf seiner Spitze, der sich steil in den Himmel reckt und schon wieder so weit weg erscheint. Ein paar meiner Sünden habe ich heute Nacht auf ihm auch abgebüßt 😉

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(Sri Lanka, November 2019)