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Schon von weitem kann ich die Gruppe Menschen erkennen, die sich auf der kleinen Hochebene versammelt hat. Zwischen ihnen ist ein großes, blaues Tuch mit roten Häufchen ausgebreitet. Im Hintergrund erheben sich die schneebedeckten Gipfel der Annapurna-Kette. Alle mehr als 7.000 Meter hoch, der Annapurna I sogar über 8.000. Unwirklich erscheinen die Berge, wie sie im Licht der Nachmittagssonne am Himmel schweben.

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Wir wandern durch das kleine Dorf Dhampus auf 1.700 Meter Seehöhe, wo wir heute übernachten werden. Beim Näherkommen entpuppen sich die Häufchen als kleine Fleischberge, die fein säuberlich in regelmäßigen Abständen auf der Plastikplane angeordnet sind.  Etwas abseits ausgebreitet liegt die Haut des Wasserbüffels, der hier sein Leben lassen musste. Seltsam flach, als wäre ihm die Luft ausgegangen.

Es herrschen rege Verhandlungen über die letzten verbliebenen Stücke. Was jetzt noch zu haben ist, sieht primär nach Innereien aus. Die „guten“ Fleischstücke wurden wohl schon verteilt. Eine ältere Dame kommt mir zufrieden entgegen, aus ihrem geflochtenen Korb am Rücken ragt ein Huf samt Büffelbein. Zwei Hunde schleichen vorsichtig um die Menge, wohl in der Hoffnung auf das eine oder andere Stück Fleisch.

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Morgen ist Silvester und der Büffel ist die wichtigste Zutat für das Menü zum Jahreswechsel, erklärt uns der Hüttenwirt. Jeder im Dorf bekommt etwas ab von dem mächtigen Tier, das wahrscheinlich in einem schmackhaften Eintopf landen wird, den es traditionell zum neuen Jahr gibt.

Langsam taucht die Sonne die Bergkette in Rosa, es wird kühler und das Grüppchen ist schon ziemlich zusammengeschrumpft. Die meisten haben sich schon mit ihrer Ration Fleisch eingedeckt. Ein paar Schulkinder sitzen noch im Gras und schauen auf die Reste des Büffels. Einer der Hunde hat doch noch ein Stück ergattert, das wohl jemanden aus dem Korb gerutscht ist, und sucht sich ein ruhiges Plätzchen.

Mittlerweile sind wir bei unserer Hütte für die Nacht angekommen und genießen mit einer Tasse wärmenden Tees in der Hand das Farbenspiel der untergehenden Sonne auf den erhabenen Gipfeln.

Als wir am nächsten Morgen wieder an der kleinen Ebene vorbeikommen, ist keine Spur mehr vom Büffel und seinem Ende zu erkennen. Als wäre nichts geschehen.

(Nepal, Dezember 2019)