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Wir kuscheln uns um die wärmenden Flammen des Lagerfeuers. Die Dämmerung bringt noch ein paar Minusgrade mehr und das rostige Skelett der Million Dollar Bridge zeichnet sich vor uns gegen den Abendhimmel ab. Eigentlich heißt sie ja Miles Glacier Bridge, weil die den Miles und den Childs Gletscher miteinander verbindet. Den Spitznamen Millionen Dollar Brücke haben ihr die Errichtungskosten von über 1 Millionen Dollar eingebracht. 1910, also vor gut 100 Jahren, wurde sie als Teil der Eisenbahnstrecke von Kennicot nach Cordova gebaut. Abgebautes Kupfer im Wert von mehr als 200 Millionen Dollar wurde über sie zur Küste transportiert. In den Fünfziger-Jahren wurde aus der Zugstrecke ein Highway. Mittlerweile wird sie auch „Brücke ins Nirgendwo“ genannt, weil die Straße zur Küste längst nicht mehr passierbar ist. Nun ist sie nur noch auf dem Wasserweg erreichbar.
Nach fünf Tagen auf dem Fluss ist sie das erste Zeichen von menschlicher Zivilisation, das uns begegnet. Sie erscheint eher wie ein altes Urzeitmonster, das sich hier die Engstelle am Cooper River als letzte Ruhestätte ausgesucht hat. Auf über 450 Meter Länge spannen sich ihre vier Bögen über den Fluss. Bis zu 6 Meter hohen Eisschollen und wechselnden Wasserständen des breiten Flusses musste sie im Lauf der Jahre standhalten. Hochwasser und Erdbeben verursachten Schäden, die immer wieder ausgebessert wurden. Die Folgen einer vollständigen Zerstörung der Brücke wären teurer als die laufende Reparatur.



Sie steht da wie ein Mahnmal, als wollte sie daran erinnern, dass der Mensch zwar versucht, die Natur zu bezwingen, sie dann aber doch die Oberhand behält. Und hier, im südlichen Alaska, besteht kein Zweifel, wer das Sagen hat. Von den Rändern der beiden gewaltigen Gletschern, die vor uns im Fluss verschwinden, brechen immer wieder kleinere und größere Eisberge ab, die langsam an unserem Zeltlager vorbeiziehen.




Mit zwei Schlauchbooten sind wir heute Nachmittag zwischen den bizarren, meterhohen Formen aus Eis hindurch gepaddelt. Eine falsche Wendung mit unseren Booten, ein unberechenbarer Strudel – und eine der eisigen Schollen hätten uns wohl erbarmungslos unter Wasser gedrückt. Nun ist es nur das leichte Grollen des brechenden Eises, das einem immer wieder kleine Schauer über den Rücken jagt.


Der Duft der fertigen Steaks steigt uns in die Nase. Die Silhouette der umliegenden Berge verschwindet langsam im letzten Licht. Still wird es. Man hört nur das leise Knistern der Flammen. Wir genießen unsere Mahlzeit und halten nach den ersten Sternen Ausschau.
Morgen werden wir unter ihr hindurchpaddeln. Und ihre rostigen Streben werden trotzig auf uns hinunterblicken, bereit für die nächsten Hundert Jahre in dieser einsamen Wildnis.
(Alaska, USA, August 2015)