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Wir sitzen zu zweit hinter der kleinen Hütte auf den Stufen und schauen auf den Stausee, der unter uns zwischen den Bergen glitzert. Und wir flüstern. Schon seit gut einer Stunde. Seit wir hier oben angekommen sind, unterhalten wir uns in gedämpfter Lautstärke und vermeiden jedes laute Geräusch. Die Berge der südlichen Karpaten umgeben uns. Mittendrin in der Wildnis steht die Holzhütte, in der wir heute die Nacht verbringen werden.
Kurz nach 15 Uhr gehen wir nach drinnen und suchen uns gemeinsam mit den anderen einen Platz vor den großen Fenstern. Bewaffnet mit Kamera und Fernglas schauen wir gespannt auf die Lichtung vor uns. Noch sind allerdings nur die Eichelhäher zu sehen, die sich über die ausgestreuten Maiskörner hermachen. Und ein junger Sperber, der seine ersten Übungsflüge Richtung Eichelhäher macht. Die sind aber schneller und weichen geschickt seinen noch etwas plumpen Flugmanövern aus. Um gleich darauf wieder die nächsten Körner zu stibitzen.
Man hört nur das Knacken der Erdnüsse und das Brechen der Schokolade, mit der wir uns die Wartezeit versüßen. Ich schlürfe meinen heißen Kaffee und schaue sogleich erschreckt in die Runde, weil das Geräusch in der Stille umso lauter klingt.
Die Septembersonne sinkt tiefer und es wird schon leicht dämmerig. Plötzlich zeigt jemand nach vorne. Konzentriert schauen wir Richtung Wald, strengen unsere Augen an, um etwas zu erkennen.
Und wirklich, ein großer Schatten bewegt sich zwischen den Bäumen. Ist aber auch gleich wieder verschwunden.
Nun kann man die Anspannung im Raum richtig spüren. Alle starren nach vorne, Fernglas und Kamera in Habt-Acht Stellung. Und dann kommt er von links aus den Büschen, ganz gemächlich schlendert er auf die Lichtung. Sein braunes Fell leuchtet golden im Abendlicht. Ein Braunbär. Nur ein paar Meter vor uns. Entspannt macht er sich über den Mais her, holt mit seinen mächtigen Tatzen auch die versteckten Körner unter dem alten Baumstumpf hervor. Fast eine Stunde genießt er seine Mahlzeit und lässt sich die letzten Sonnenstrahlen auf den Pelz scheinen.
Die Kamera habe ich schon längst beiseite gelegt und erfreue mich einfach am Anblick, genieße das Privileg ein so prachtvolles Tier in seiner natürlichen Umgebung beobachten zu dürfen.
Als er dann schließlich wieder zwischen den Büschen verschwindet, dauert es eine Zeitlang bis sich der erste von uns traut, die Stille zu durchbrechen. Wir sind alle beeindruckt von dem Schauspiel, das uns geboten wurde.
Mittlerweile ist es dunkel geworden und wir genießen einheimische Polenta mit Käse bei Kerzenlicht. Ab und zu werfe ich noch einen Blick durch die nun schwarzen Scheiben und versuche zu erahnen, wer oder was sich dahinter wohl gerade verbirgt.
Ich liege in meinem Stockbett mit Blick auf die Waldlichtung, die mittlerweile vom Mond hell erleuchtet ist. Fast möchte ich die Augen nicht zumachen, um ja nichts zu versäumen. Mitten in der Nacht werde ich dann doch von Peter geweckt, weil draußen wieder ein Bär unterwegs ist. Nur ein großer Schatten ist zu erkennen, gleich daneben ein Wildschwein, dem der Mais wohl auch schmeckt. Ein friedliches Bild, wie die beiden, kaum einen Meter voneinander entfernt, im Mondlicht zu sehen sind.
„So eine Aussicht sollte man öfter vom Bett aus haben“, denke ich noch bei mir, bevor ich schließlich wieder einschlafe.
(Rumänien, September 2019)