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Als um 4:30 Uhr der Wecker läutet, mischen sich in das Konzert der Frösche schon die ersten Rufe des Kuckucks. Das leichte Schaukeln erinnert mich daran, dass ich nicht zuhause im breiten Bett liege, sondern auf der mehr als schmalen Matratze in meiner Schiffskabine.

Kurz darauf stehe ich mit dem ersten Kaffee an der Reling und schaue aufs Wasser, über dem ein leichter Nebel liegt. Noch ist es dämmerig, aber das Leben im Schilf um uns herum erwacht langsam: eine Schwanenfamilie zieht ruhig am Schiff vorbei, die ersten Reiher gehen schon auf die Jagd. Die Frösche haben wohl genug Lärm gemacht und sind nur noch vereinzelt zu hören. Dafür läuft der Kuckuck zur Höchstform auf und schmettert unaufhörlich seinen Ruf übers Wasser. Wer hätte gedacht, dass im Donaudelta der am häufigsten zu hörende Vogel der Kuckuck ist?

Nach einem kurzen Frühstück geht es ab ins Boot und schon fahren wir dem Sonnenaufgang entgegen. Als wir in einen schmalen Kanal einbiegen, neigen sich rechts und links die hohen Gräser zu uns ins Boot. Orangerot steigt die Sonne vor uns hinter den dichten Pflanzen auf und taucht die Landschaft in ein goldenes Licht.

Dann bleibt das Schilf hinter uns und vor uns erstreckt sich ein großer, mit Wasserpflanzen bedeckter See. Langsam tuckern wir weiter und hören schon das aufgeregte Gezeter der Seeschwalben: sie haben die großen Blätter der Wasserrosen als Nistplatz auserkoren und sind fleißig dabei, kleine Äste, Pflanzenteile und alles, was sich sonst noch als Nestpolsterung eignet, zu sammeln. Dabei kennen sie keine Skrupel und sobald ein Vogel ein besonders schönes Stück ergattert hat, wird er gleich von ein paar anderen verfolgt, die es im wieder abjagen wollen. Und oft geht wohl der Größenwahn mit einem Bauherrn durch, wenn das entdeckte Teil sich als zu schwer erweist und wieder im Wasser verschwindet. Jeder ist darauf bedacht, mit ausreichend Lärm den ausgewählten Nistplatz zu verteidigen und schreckt auch nicht davor zurück, mal kurz mit dem Schnabel die Revieransprüche zu bekräftigen.

Unser Boot liegt ruhig inmitten des Treibens, die Kameras laufen heiß. Es gibt so viel zu sehen, dass ich mich nicht entscheiden kann, was ich zuerst ins Visier nehmen soll: das Pärchen, das sich gerade lauthals begrüßt? Der Nachbar, der mit einem riesigen Ast im Nest landet? Oder die Akrobaten, die im Gegenlicht waghalsige Flugmanöver aufführen, um der Konkurrenz die Ast-Beute abzujagen? Oder doch lieber die Dame, die gerade im Nest ihre Eier in die richtige Position bringt?

Resigniert gebe ich auf und schaue einfach nur. Lasse mich einfangen von der Stimmung des Morgens, den Rufen der Seeschwalben, dem warmen Licht, dem sich die weißen Blüten der Seerosen langsam öffnen. Ich entdecke grüne Frösche, die entspannt im Wasser schwimmen oder sich unter großen Blättern verstecken.

Doch dann siegt natürlich auch der Ehrgeiz: ein paar gute Bilder sollte ich schon auch schaffen 🙂 Wobei es einem die flinken Seeschwalben gar nicht so einfach machen, da sie beim Fliegen gerne auch Haken schlagen. Allerdings bleiben sie auch immer wieder in der Luft stehen und sind dann dankbare Fotomotive (wenn man schnell genug ist).

Weißbartseeschwalbe im Flug

Die Zeit vergeht wie im Flug und langsam bewegen wir uns wieder Richtung Hotelschiff. Eine Gruppe Pelikane, das Wahrzeichen des Donaudeltas, sammelt sich für die gemeinsame Jagd und durchpflügt in Formation das Wasser. Wie auf Kommando verschwinden alle Köpfe unter der Wasseroberfläche, um kurz darauf wieder mit Fischen im großen Schnabel aufzutauchen.

Noch ein kurzer Stopp beim Braunen Sichler, der gemächlich mit seinem gebogenen Schnabel den sumpfigen Boden abgrast. Hin und wieder wird er fündig und kämpft mit einem sich heftig wehrenden Egel, bis er ihn in die richtige Position zum Hinunterschlucken bugsiert hat.

Rallenreiher säumen das Ufer, als wir uns dem Schiff nähern. Regungslos stehen sie im flachen Wasser und fixieren die Wasseroberfläche auf der Suche nach Beute. Ein paar Kormorane trocknen auf einem alten Baumstamm ihr Gefieder, während daneben ein Graureiher am seichten Ufer nach Fischen Ausschau hält.

Rallenreiher mit Fisch

Rund um uns herum tut sich etwas, immer gibt es Neues zu entdecken. Die kleinen Kanäle sind oft von mächtigen Bäumen gesäumt, deren Zweige tief in Wasser reichen. Baumwurzeln ragen aus dem Wasser, Sonne und Schatten zeichnen ihre Muster auf die Oberfläche. Manchmal fühlt man sich wie in einer verwunschenen Welt, wo hinter dem nächsten Baumstamm eine kleine Elfe hervorschauen könnte. Stattdessen flitzt ein blau leuchtender Eisvogel am Bug vorbei.

Eisvogel auf einem Ast

Das Delta nimmt einen gefangen, präsentiert sich und seine Vogelwelt jeden Tag aufs Neue in anderen Stimmungen und verwandelten Landschaften.

Und über allem tönt unermüdlich der Ruf des Kuckucks.

(Donaudelta, Rumänien, Juni 2023)