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Es ist der letzte Tag unserer Reise und wir sind in einem Minibus unterwegs nach Langa, dem ältesten Township von Kapstadt. Außer mir sitzt nur noch Niklas aus meiner Reisegruppe mit im Bus. Ursprünglich wollten noch einige andere mit, doch dann meinten sie „zu deprimierend“ oder „ich mag nicht Armut schauen gehen“.
Unser Guide Lee, der selber in Langa lebt, macht allerdings keinen deprimierten Eindruck, sondern scheint im Gegenteil vor lauter Energie zu sprühen. Sein Redefluss ist kaum zu bremsen, während er uns über die wechselvolle Geschichte seines Viertels erzählt, das schon 1927 als erster Stadtteil nur für Schwarze gegründet wurde.
Nach einer kurzen Fahrt halten wir in einer ruhigen Straße. Links scharen sich Gebäude und einige winzige Wellblechhütten um einen größeren, staubigen Platz, auf dem Kinder spielen. Geradeaus steht ein etwas größeres Haus, das als eine Art Versammlungspunkt dient, wie uns erklärt wird.
Wir steigen aus und schlendern langsam zu dem Platz, während wir weiterhin mit Informationen überschüttet werden. Lee erzählt uns, dass die Kinder oft für die Touristen singen und tanzen und dafür auch eine kleine Gegenleistung erwarten. Das sei für sie an den Wochenenden auch eine Beschäftigung, wenn keine Schule ist. Nachdem wir aber unvorbereitet sind und keine „Mitbringsel“ dabei haben, lassen wir diesen Programmpunkt aus (um die Kinder auch nicht zu enttäuschen).
Rechts vom Platz zweigt eine schmale Gasse ab, die durch die Wellblechhütten führt. Es sind kleine Bauten, die meist nur die Größe eines Zimmers haben, in denen aber ganze Familien leben. Sie seien immer noch eine willkommenere Alternative zu den Gemeinschaftsquartieren, in denen es fast keine Privatsphäre gibt. Nur als Übergangslösung gedacht, solange die Leute auf eine Sozialwohnung warten: doppelstöckige Reihenhäuser, in denen die Wohnungen erschwinglich sind.
Wir besuchen eine der kleinen Hütten, die schon fast als Luxus gilt, weil sie über drei Räume verfügt. Lee schildert uns, wann man seine Hütte bauen muss, damit sie nicht gleich wieder abgerissen wird: anscheinend darf alles, was länger als 48 Stunden steht, nicht mehr entfernt werden. Und so wird eine Hütte bei „Nacht und Nebel“ übers Wochenende errichtet. Den Kontrolleuren, die am Montag wieder kommen, wird erzählt, dass sie ja eh schon immer da gestanden habe. Ich kann mir gut vorstellen, dass es in dem Labyrinth aus Wellblech schwierig ist, den Überblick zu bewahren.
Während seiner Erzählung bewundern wir den Einfallsreichtum, mit dem das Heim, in der wir sitzen, gebaut und eingerichtet wurde: Kronkorken werden als Unterlage für die Nägel im Wellblech verwendet, auf dem Tisch steht ein Mixer, der zu einer Lampe umgebaut wurde. Alles hat seinen Platz, ist liebevoll gepflegt, auch wenn die Polster der Sessel schon bessere Zeiten gesehen haben und hie und da die Füllung hervorschaut.
Mittlerweile ist noch Lara, eine zweite Führerin, mit einem Ehepaar gekommen und die kleine Behausung ist schon fast überfüllt. Die Besitzerin hat sich in ein angrenzendes Zimmer zurück gezogen: eine älter Dame im geblümten Kleid und großem Sonnenhut. Wir erfahren, dass ihr Mann seit längerem Krebs hat und die Guides zusammengelegt haben, damit er seine Behandlung bezahlen kann.
Lara erzählt uns aus ihrem Leben als alleinstehende Mutter im Township und der Hoffnung, dass ihre kleine Tochter nicht auf die schiefe Bahn gerät. Und von dem Jungen aus Langa, der vor kurzem einen nationalen Wettbewerb für Mathematik gewonnen hat. „Das sind die Vorbilder, die wir für ihre Kinder brauchen.“, meint Lee, „Sie sollen wissen, dass man es schaffen kann, wenn man nur will und etwas dafür tut.“
Unsere nächste Station ist eine „Kneipe“, auch aus Wellblech zusammengezimmert. Es gibt nur einen großen Raum, an dessen Rand lange Bänke stehen. Hier dürfen wir das lokale Bier, Umqombothi, kosten. Es wird in einem großen Blecheimer serviert, auf dem zentimeterdick weißer Schaum schwimmt. Der Eimer geht reihum und jeder der Anwesenden in der Hütte nimmt einen großen Schluck. Lee zeigt uns, wie wir den Schaum zu Seite blasen und dann den Eimer vorsichtig zum Mund führen sollen (wer nicht trinken mag, tut einfach so, indem er das Blech kurz an die Lippen hält). Niklas fragt kurz nach einem Glas, aber die hochgezogenen Augenbrauen von Lee und ein Blick zur „Theke“ machen klar, dass es so etwas hier nicht gibt.
Anschließend gehen wir vorbei an den Sozialbauten aus dunklen Ziegelsteinen Richtung „Beverly Hills“ von Langa: hier wohnen die, die es geschafft haben. Richter, Doktoren, Geschäftsleute, die sich ein Haus und Auto leisten können, aber trotzdem die Gemeinschaft des Townships nicht verlassen wollen. Es gibt zwar auch hier Mauern, aber weder Stacheldraht noch Elektrozaun, wie man sie sonst überall in Südafrika sieht.
Auf dem Rückweg kommt uns eine Gruppe singender Männer entgegen, die in Decken gehüllt sind. Ihre Gesichter sind rot vom Lehm. Das sind Xhosa, erklärt uns Lee, die gerade ihre Beschneidungszeremonie hinter sich haben. Vier Wochen waren sie im Busch auf sich allein gestellt. Nun sind sie vom „Boy“ zum „Mann“ geworden. Ich bin überrascht, dass dieses Ritual immer noch praktiziert wird – mitten in der „Zivilisation“. Nur die Dauer wurde von 6 Monaten auf einen Monat verkürzt, um in der modernen Arbeitswelt Platz zu haben. Die Gruppe zieht nun zu jedem Haus, in dem einer der jungen Männer wohnt, und feiert seine gesunde Rückkehr.
Am Straßenrand steht ein Holztisch, der mit abgeschnittenen Schafsköpfen bedeckt ist. Kein schöner Anblick, aber Anlass für Lee ein Loblied auf die Leute zu singen, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen: wie der Mann, der die Schafsköpfe von den Schlachtern einsammelt, sie säubert und an Restaurants weiterverkauft (Schafkopf ist eine lokale Spezialität).
Unser letzter Halt ist das Gemeindezentrum von Langa, wo lokale Künstler ihre Werke zum Verkauf anbieten. Die angebotenen Waren unterscheiden sich erfrischend von dem Einerlei, was es sonst in den Souvenirläden zu kaufen gibt. Und als ich eine hübsche, getöpferte Schale erstehe, habe ich das Gefühl, zumindest einen kleinen Beitrag zu dieser Gemeinschaft zu leisten.
Die glänzenden Wolkenkratzer, schönen Villen, Weingüter und Naturparks sind nur eine Seite Südafrikas. Die andere, sehr lebendige und sympathische Seite durfte ich heute sehen und erleben.
(Südafrika, Januar 2019)