Schlagwörter

Wir stehen auf dem brüchigen Lava-Gestein mit respektvollem Abstand zum Kraterrand und starren gebannt in die Dunkelheit vor uns. Mittlerweile sind alle Stirnlampen aus. Dichter Rauch steigt vor uns auf. Reizt den Hals, und ab und zu ist ein Hüsteln hinter der Atemmaske zu vernehmen. Stille. Ich versuche, durch die dunklen Nebelschwaden einen Lichtschein zu entdecken. Ein schwaches Leuchten, das auf die kochende Lava hindeutet, die sich in der Tiefe hinter dem überhängenden, scharfkantigen Gestein verbergen soll. Nichts. Alles schwarz.

P1310839Es dauert wohl eine ganze Weile bis wir begreifen, dass es hier nichts zu sehen gibt. Der Erta Ale, geheimer Höhepunkt der Reise, dessen Fotos von glühend roter Lava unsere Erwartungen hochgeschraubt hatten, hüllt sich heute nur in dichten Rauch. Die beschwerliche, stundenlange Anreise mit dem Jeep im Schritttempo über eine holprige Piste, der Aufstieg erst bei glühender Hitze, dann in der Dunkelheit bis die ersten Rauchschwaden die Nähe des Ziels ankündigten. Nun stehe ich hier, immer noch schwitzend, habe das Gefühl, das unzählige kleine Rauchpartikel auf meinem Gesicht kleben. „Alles umsonst!“, denke ich bei mir.

Unser Guide hat es schwer, uns wieder vom Krater weg zu bekommen. „Noch 10 Minuten.“ Vergebliche Hoffnung, dass die Rauchschwaden aufreißen und doch einen kurzen Blick auf das Innere des Vulkans preisgeben. Schließlich geben wir auf und werden auf die frühen Morgenstunden vertröstet. Schweigend geht es zurück über die morschen Lavaplatten und den steilen Pfad hinauf zu den einfachen Steinhütten, wo wir heute unser Nachtlager aufschlagen.

Auch beim verspäteten Abendessen, unserem mitgebrachten Sandwich, will kein richtiges Gespräch in Gang kommen. Einige kämpfen mit Atemmaske und dem immer noch vorhandenem Rauch, dessen kleine Partikel im Licht der Stirnlampen einen feinen Nebel zwischen uns bilden. Eine kleine Maus sitzt zwischen meinen Beinen und hofft wohl auf ein paar heruntergefallene Brösel.

P1310842Bald liegen wir auf den Matratzen auf dem staubigen Boden, es ist immer noch heiß. Schlafsack ist heute nicht nötig. Ab und zu verschafft ein schwacher Wind etwas Abkühlung. Immer wieder huschen Lampen am Eingang der Hütte vorbei. Neuankömmlinge, die wohl noch voller Hoffnung auf einen Blick auf den Lava-See sind. Rundherum hört man die Stimmen der anderen Gruppen. Die Franzosen sind heute besonders laut (liegt wohl am Rotwein, den sie sich vorsorglich mit auf den Vulkan gekommen haben).

„Vielleicht hat sich ja bis morgen früh der Rauch verzogen…“, denke ich mir, bevor ich die Atemmaske übers Gesicht ziehe und in einen unruhigen Schlaf falle.

Um 4:30 Uhr weckt uns die Reiseleiterin mit den Worten „Wir steigen gleich ab, da immer noch nichts zu sehen ist.“ Schlaftrunken suche ich meine sieben Sachen zusammen, schlüpfe in Hose und T-Shirt. Der Mond steht noch am Himmel und ist verschwommen durch den Rauch zu erkennen. Während unsere Kamele wieder mit Matratzen und Wasser beladen werden, schauen wir noch mal hinunter in Richtung Krater, an dessen Rand man entfernt kleine Lichterketten von Stirnlampen erkennen kann. Und immer wieder neue Rauchschwaden…

P1310852

(Äthiopien, November 2018)