Schlagwörter
Der Geruch von Thymian umgibt uns, als wir durch das kniehohe, vom Regen noch feuchte Gras wandern. Die Nachmittagssonne kämpft sich durch die Regenwolken und bringt die langen Moos-Bärte der Bäume in einem hellen Grün zum Leuchten. Unser Weg führt entlang eines steilen Felsenabbruchs, der dicht bewachsen ist. In der Ferne heben sich bizarre Felsformationen von den dunklen Wolken ab.
Der Regen hat gerade erst aufgehört und die Sonnenstrahlen zeichnen helle Muster auf die mit Feldern überzogenen Plateaus unter uns. Ich komme mir vor wie in einer Fantasiewelt, so fremdartig und fantastisch erscheint mir die Landschaft. Wir bleiben oft stehen, machen Fotos oder genießen einfach die Aussichten.
Und plötzlich ist die Wiese vor uns in Bewegung: eine Herde von Dscheladas – Blutbrustpavianen, die es nur noch hier im Simien Gebirge gibt – zieht vor uns durch das hohe Gras. Ihre langen, dichten Haare wehen im Wind während sie die Grasbüschel ausreißen und dann genüsslich zwischen den kräftigen Zähnen zermahlen. Ihre Laute, mit denen sie ständig in Kontakt sind, klingen fast menschlich. Ab und zu hört man lautes Geschrei, weil sich wieder zwei in die Haare bekommen, und die beeindruckenden Eckzähne werden durch Hochstülpen der Oberlippe gezeigt. Daneben balgen Babys im Gras oder krallen sich im dichten Fell der Mutter fest. Die Herde scheint völlig unbeeindruckt von unserer Gegenwart und dem Klicken der Kameras.
Ein prächtiges Männchen sitzt vor mir und der blutrote Brustfleck ist deutlich zu erkennen. Nachdenklich blickt er in die Ferne und ich würde zu gerne wissen, was gerade in dem zotteligen Kopf vorgeht.
Abends im Zelt höre ich das Gemurmel unserer Scouts, die nebenan in den Büschen Schutz vor der Kälte gesucht haben. In Plastiksandalen und Decken gehüllt, ein altes Gewehr am Rücken und von undefinierbarem Alter begleiten sie uns während der fünf Tage durch diese einzigartige Landschaft.
Während ich am nächsten Morgen nach Luft ringend in der dünnen Höhenluft langsam einen Fuß vor den anderen setze, wartet „mein Scout“, der mit mir gemeinsam das Rücklicht bildet, immer wieder geduldig auf mich. Manchmal lächelt er und in seinem Gesicht breiten sich lauter kleine Fältchen aus. Oder er deutet auf eine winzige Blume, die zwischen den Felsen um ihr Leben kämpft. Viel mehr Kommunikation ist nicht möglich, da er kein Englisch spricht und mein Amharisch sich nur auf ein paar Worte beschränkt.
Immer wieder bleibe ich stehen, nicht nur, um nach Luft zu schnappen, sondern auch, um den nächsten dramatischen Ausblick zu genießen: tiefe Schluchten, zwischen denen der Nebel aufsteigt. Weite Ausblicke über die Ebene, auf der sich Palmen locker verteilt haben. Ein Lämmergeier, der hoch oben kreist. Ein Pärchen Erzraben vor mir auf einem Felsen unterhält sich mit knarrenden Geräuschen. Dann wieder Stille, und ich höre nur meinen keuchenden Atem.
Wir haben die 4.000 Meter Grenze überschritten und der Blick scheint endlos weit zu reichen. Selbst die Wolken haben schon aufgegeben und hängen unter uns zwischen den Bergen. Die Sonne meint es heute gut mit uns und ihre warmen Strahlen sind eine willkommene Abwechslung zur kalten Nacht im Zelt.
Der Scout bleibt stehen und dreht sich um. Deutet dann auf die Felsen vor uns. Und richtig, dort stehen ein paar Walia Steinböcke und lassen sich die Sonne auf ihr dichtes Fell scheinen. Wunderschön sind sie mit ihren langen geschwungenen Hörnern und dem in unterschiedlichen Brauntönen gezeichnetem Fell. Auch mein Scout scheint sich zu freuen, dass wir doch noch welche entdeckt haben. Dieses Mal ist das Lächeln noch breiter und gibt den Blick auf ein paar verbliebene Zähne frei. Andächtig beobachten wir die kleine Herde, die langsam weiterzieht und schließlich wieder zwischen den großen Felsblöcken verschwindet.
(Äthiopien, November 2018)