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Kurz vor 6 Uhr, der Wecker klingelt. Wie immer werfe ich zuerst einen Blick durch das kleine Fenster meiner Dachkammer: die Sonne lugt gerade über die gegenüberliegenden Berge und taucht die Landschaft in weiches Licht. Rasch schlüpfe ich in Jeans und T-Shirt und marschiere mit meinem Waschzeug unterm Arm zwei Stockwerke tiefer ins Bad. Kurze Katzenwäsche mit kaltem Wasser, um den Schlaf aus den Augen zu vertreiben.
Und dann stehe ich auch schon in der Gaststube, die gerade von den ersten Sonnenstrahlen begrüßt wird. Wunderschöne Aussicht ins Tal heute, in der Ferne leuchtet die goldene Scheibe des Neusiedlersees. Eine Gämse steht malerisch am Berghang, nur 100 Meter von der Hütte entfernt, und scheint ebenfalls die Morgenstimmung zu genießen.
Ich liebe diese erste stille Stunde am Morgen, wenn noch alles ruhig ist und ich die Bergwelt für mich alleine habe. Während ich das Frühstück für die Gäste vorbereite, trudeln auch schon vereinzelt die anderen Mitglieder des Hüttenteams ein. Sitzen mit einer Tasse dampfendem Kaffee am Stammtisch, plaudern oder hängen noch ihren eigenen Gedanken nach.
Für mich geht sich heute nur eine schnelle Kaffee-Pause aus, da die Hütte voll ist und das Wetter traumhaft. Der Strom der Wanderer, die verschwitzt bei uns ankommen und Sonne und Aussicht im Garten genießen, reißt für die nächsten Stunden nicht ab.
Kurz erlaube ich mir eine kleine Auszeit, um mich in unseren „Ruhepol“ hinter der Hütte zu „flüchten“: eine kleine Holzbank umgeben von verwilderten Gräsern und Holzstapeln, zwischen denen sich überraschend viele Vögel tummeln. Ein Kaffee mit Schokoriegel, das Gesicht in die warme Sonne halten, um Energie für die nächsten Stunden zu sammeln.
Am späteren Nachmittag ist es ruhiger und ich laufe langsam barfuß über die Wiesen vor der Hütte. Das Gras ist kühl, kitzelt meine Fußsohlen und ich muss aufpassen, dass ich nicht auf eine der Bienen trete, die auch hier oben fleißig unterwegs sind. Ein paar Edelweiß verstecken sich zwischen den Grasbüscheln. Die Stille hält wieder Einzug. Nur vereinzelt hört man die Stimmen von Wanderern, die schon wieder unterwegs ins Tal sind. Der Berg gehört nun den Gämsen, die sich langsam wieder blicken lassen.
Am Abend entlädt sich ein Gewitter über uns. Dunkle Wolken, der Regen prasselt aufs Dach, der Wind pfeift um die Hütte als wollte er sie mit sich forttragen. Das Krachen des Donners wird von den umliegenden Bergen vervielfacht. Wir sitzen gebannt am Fenster und erfreuen uns am Schauspiel von Blitzen und Wetterleuchten, das uns heute geboten wird.
Der nächste Morgen wird Regen und Nebel bringen und die Landschaft wird eine andere sein. Rauer und abweisend, wenn der Wind die Wolken über den steilen Grat jagt. Immer neue Stimmungen und Ausblicke, die uns die Natur hier oben schenkt. Und eine schöner als die andere.
(Rax, Österreich, August 2020)