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Die Küche ist sparsam eingerichtet, penibel sauber. Neben der kleinen Küchenzeile steht noch ein alter Kohleherd aus der Zeit als die Mitarbeiter des Braunkohlewerks die Briketts noch gratis bekamen. Mittlerweile gibt es eine moderne Zentralheizung in den kleinen Wohnungen, die nach dem Krieg erbaut wurden und in denen einige Bewohner immer noch die ersten Mieter sind.
Man hört das Ticken der Uhr auf dem Küchenschrank, dem man seine Herkunft aus den 70iger Jahren ansieht. Daneben kleine Porträtfotos, die wohl aus der gleichen Zeit stammen: ein jüngeres selbst, als man fast noch jung war. Auch ein Bild des schon lang verstorbenen Ehemannes. Postkarten-Ansichten von der polnischen Ostsee, wo man als Kind aufgewachsen ist und vom Krieg vertrieben wurde. Die Spitzen der weißen Gardinen am einzigen Fenster verlaufen in einem sauberen Bogen und erlauben einen Blick auf die Straße vorm Haus. Früher standen auf der gegenüberliegenden Seite Kühe auf den Weiden und man hatte im Sommer mit den Fliegen zu kämpfen. Heute stehen dort ordentlich aufgereiht Einfamilienhäuser, in denen mittlerweile auch schon die Kinder erwachsen und aus dem Haus sind.
Früher hörte man auch das ständige Rauschen vom nahen Braunkohlewerk, wenn der Wasserdampf aus den Kühltürmen abgelassen wurde. Das Werk fiel dann Ende der Achtziger selber der Braunkohle zum Opfer, gemeinsam mit dem gleichnamigen Dorf, dessen Bewohner in den Jahren zuvor abgesiedelt wurden und eine gespenstische Ansammlung von Häusern mit zugemauerten Fenstern und Türen zurück ließen. Die Grube rückt näher an den Ort, Zufahrtsstraßen werden verlegt, kurz nach der Ortsausfahrt begegnet man schon der Grubenbahn, die parallel zur Straße Wagen um Wagen mit abgebauter Braunkohle zur Weiterverarbeitung abtransportiert. Gleich dahinter der riesige Schlund der Grube, in der sich der Bagger mit seinen weit ausladenden Schaufelrädern wie ein urzeitliches Ungetüm durch die Kohle gräbt. Die Autos in der Grube wirken daneben wie Spielzeuge.
In den folgenden Monaten werden die Fensterbänke jeden Tag mit einer feinen schwarzen Kohleschicht überzogen sein. Ein offenes Fenster verursacht schwarzen Staub in der Badewanne daneben. Die Straßen rundherum werden mit dem Näherrücken der Grube immer wieder verlegt, teilweise sind beträchtliche Umwege zu fahren, um die umliegenden Ortschaften zu erreichen. Ein über hundert Jahre altes Kloster wurde schon vor einigen Jahren weggebaggert, inklusive umliegendem Wald. Man kommt sich vor wie auf einer Insel im Meer der Braunkohle, die wie durch ein Wunder vom Bagger verschont wurde.
Mittlerweile ist die Grube wieder zugeschüttet, die Narben in der Landschaft durch künstliche Seen und Naherholungsgebiete mit neu aufgeforsteten Wäldern verdeckt. Nichts zeugt mehr von den Geschichten und den Schicksalen, die vorher hier stattgefunden haben. Nur die ganz Alten können noch berichten, wie sie als Kinder im Wald beim Kloster gespielt haben.
Mit der Absiedelung des Tagebaus werden auch die Arbeitsplätze weniger, die jungen Leute verlassen den Ort, die Lebensmittelgeschäfte wandern nach draußen, die Gasthäuser schließen. Für die Dagebliebenen, die fast ihr ganzes Leben hier verbracht haben, werden die täglichen Besorgungen eine Herausforderung.
Nur das Kraftwerk Niederaußem, das seinen Vorgänger Fortuna ersetzt hat, bläst beständig seine Wasserdampf Wolken in den Himmel über den Ort, die manchmal auch bläulich oder rosa leuchten…
Wen’s interessiert: http://de.wikipedia.org/wiki/Tagebau_Bergheim
Du weißt, an wen ich dabei denke ….
Ja…