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Als ich mich auf der ruhigen und einzigen Hauptstraße meiner Unterkunft nähere, steht schon jemand auf der Straße und winkt. Mit einem Empfangskomitee hatte ich gar nicht gerechnet. Ist schließlich mein erster Tag auf dem Elbe-Radweg. Also noch keine großen Meisterleistungen zu feiern.

Ich werde gleich samt Fahrrad und Gepäck durch den Hintereingang bis zur Kegelbahn gelotst. Eine bunte Disko-Kugel zeugt von wohl besseren Zeiten in dem kleinen Ort in Brandenburg. Hier – zwischen ausrangierten Möbeln und Getränkekisten – darf ich erst mal mein Rad abstellen. Dann geht es eine schmale Treppe hoch bis zu dem kleinen Zimmer. Wann ich denn duschen möchte? – Mein Blick muss doch etwas verwundert gewesen sein, denn als Erklärung kommt dann gleich, dass dafür erst die Warmwasseranlage in Gang gesetzt werden muss. Bin wohl der einzige Übernachtungsgast heute.

Abendessen gäbe es heute nicht, da die Gaststube von einer Trauerfeier belegt sei. Daher auch der Hintereingang… Also mache ich mich frisch geduscht auf die Suche nach einem Gasthaus. Bei gut 3.500 Einwohnern wird es wohl ein solches geben. Ein nettes, kleines Städtchen mit hübsch renovierten Häusern. Leider komplett ausgestorben. Der einsetzende Regen und die Bässe, die aus den vorbei rauschenden Autos schallen, verstärken die düstere Stimmung noch.

Im Schlosspark herrscht Chaos: ein Schild warnt sogar vor Lebensgefahr bei Verlassen des Weges. Auf einem weiteren Schild ist von einem Tornado die Rede. Tornado? Mitten in Deutschland? Muss ein schlechter Scherz sein. Aber die umgestürzten Bäume und der halbe Kirchturm sprechen eine andere Sprache. Irgendwie komme ich mir vor wie im falschen Film. Noch immer ist mir kein Mensch begegnet.

Umkehren und Butterbrot zum Abendessen? Da fällt mir das Schild „Zum Elb-Hafen“ auf. Am Hafen muss es doch etwas zu essen geben. Na ja, Hafen ist leicht übertrieben, aber immerhin zwei kleine Boote liegen im ruhigen Wasser. Das Gasthaus „Seeblick“ macht allerdings einen eher verwaisten Eindruck. Aber was habe ich zu verlieren: vorsichtig drücke ich die Klinke hinunter. Und siehe da: die Türe öffnet sich. Drinnen läuft der Fernseher, sonst alles ruhig und kein Mensch zu sehen.

Ich setze mich an einen der Tische. Nach ein paar Minuten taucht dann doch die Wirtin auf. Viel könne sie mir nicht anbieten. Eine „Pilzschnitzel“ und ein Bier. Mittlerweile würde ich wohl zu allem „ja“ sagen. Das Schnitzel entpuppt sich nicht wie erwartet als Schnitzel mit Pilzen, sondern als Riesen-Pilz (Bovist), der auf Schnitzel macht. Schmeckt ausgezeichnet.

Als ich später satt und zufrieden wieder vor die Tür trete, spannt sich ein Regenbogen über den kleinen Hafen. Mühlberg hat also doch auch ein freundliches Gesicht.

(Deutschland, August 2010)

(Mühlberg wurde im Mai 2010 tatsächlich Opfer eines Tornados, der über 300 Häuser zerstörte.)