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Die Sonne steht schon tief und ihre letzten Strahlen leuchten durch die Blätter der Bäume und zeichnen ein Schattenmuster auf den schmalen Waldweg. Es ist immer noch heiß und schwül, aber hier am Rande von Wien spürt man schon ein paar Grade weniger. Ich genieße die Ruhe und die Natur in den Abendstunden. Eine schöne Abwechslung zu der Großstadt im Hochsommer.
Mir kommt eine Spaziergängerin mit Hund entgegen und wie immer beschleicht mich ein komisches Gefühlt und die Angst, jemand könnte mich nach dem Inhalt der großen Tragtasche fragen, die ich in meiner rechten Hand halte. Oder ein Hund könnte erschnüffeln, was für eine seltsame Fracht ich mit mir führe.
Ich werfe einen kurzen Blick in die Tasche: heute sind es gut 40 tote Hühnerküken, die ich spazieren trage. Das Gewirr aus kleinen Schnäbeln, Krallen, Miniflügeln und Köpfen erzeugt bei immer noch ein Gefühl der Traurigkeit. Obwohl ich mir sage, dass die männlichen Küken so zumindest noch einem guten Zweck zugeführt werden, anstatt gleich im Schredder zu landen.
Es dämmert schon, als ich von der Schotterstraße in den kleinen Pfad einbiege. Langsam und behutsam steige ich über dornige Brombeerzweige und schaue immer wieder nach oben in die kahlen Äste. Wird sich heute wer zeigen? Wartet schon wer?
Ich höre ein leises Rufen aus den Bäumen, kann aber nichts entdecken. Vor der Futterplattform stelle ich meine Tasche ab. Alles leer, da war wohl wer hungrig gestern Abend. Mit dem Spachtel räume ich ein paar übrig gebliebene Füße und Flügel weg und streife mir dann einen Einweghandschuh über. So ganz geheuer ist mir das Anfassen der kleinen aufgetauten Körper immer noch nicht. Behutsam verteile ich die Küken auf die beiden Plattformen.
Dann packe ich Spachtel und Tragtasche wieder ein und gehe noch ein Stück ins Gebüsch, um die Reste zu entsorgen.
Als ich mich umdrehe, bemerke ich im Augenwinkel einen Schatten.
Lautlose Flügelschläge, eine kurze Landung auf der Plattform und schon verschwindet die Eule mit einem Küken in den Krallen wieder.
Heute habe ich Glück: sie landet ganz in der Nähe und ich kann beobachten, wie erst der Kopf und dann der Rest des Hühnchens verspeist wird.



Wunderschön ist der Habichtskauz mit seinen dunklen Augen und den schön gemusterten Federn. Noch nicht ganz ausgewachsen und daher wird das Zusatzfutter gerne angenommen. Bald müssen sich die Käuze selbst versorgen und im Wald nach Mäusen Ausschau halten.
Während des Sommers, in denen ich an ein oder zwei Tagen in der Woche gefüttert habe, hatte ich nur ein paar Mal das Glück, diese schönen Eulen beobachten zu können. Meistens kommen sie erst im Schutz der Dunkelheit.
Nachdem sie seit Mitte des 20.Jahrhunderts in Österreichs Wäldern als ausgestorben galten, startete vor gut 10 Jahren das Projekt, um den Habichtskauz wieder im Wienerwald und im Wildnisgebiet Dürrenstein anzusiedeln.
Ich bin stolz, in diesem Sommer einen kleinen Beitrag dazu geleistet zu haben, dass wieder ein paar Habichtskäuze in unseren Wäldern heimisch werden.
(Wien, August 2022)
Wer nun neugierig geworden ist, hier gibt es mehr Infos zum Projekt: https://habichtskauz.at/